16. Oktober 2009, Aktuelles, Forschung, TU Braunschweig

Mechanismen des Fühlens und Denkens

Wie leitet unser Körper nervliche Reize weiter und wie formieren sich im Gedanken? Forscher sind bei der Aufklärung der Signalübertragung zwischen den Nervenzellen einen wichtigen Schritt weitergekommen. An der Technischen Universität Braunschweig und am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen haben sie gemeinsam die Übertragung von Botenstoffen von einer Zelle zur nächsten im Reagensglas nachgestellt und mit einer neuen Methode untersucht. Damit können sie Einflussfaktoren einzelner Biomoleküle genauer als je zuvor bestimmen. Auch die zeitlichen Abläufe der Signalübertragung können mit diesem Verfahren besser verstanden werden. Die Erkenntnisse können hilfreich sein, um zum Beispiel neue Medikamente zu entwickeln, die gezielt Störungen oder Abläufe im Nervensystem beseitigen bzw. beeinflussen oder um neue Ansätze für Schmerzmittel, Psychopharmaka oder Medikamente gegen Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer verfolgen zu können.

Auf die Plätze, fertig, los
… so könnte eine Kurzzusammenfassung der elementaren Vorgänge lauten, die bei der Kommunikation zwischen Nervenzellen auftreten. Für die Übertragung von Signalen zwischen den Zellen sorgen chemische Botenstoffe, genannt Neurotransmitter. Sie sind innerhalb der Nervenzellen in kleinen Bläschen, den Vesikeln, gespeichert. Solche Vesikel schwimmen aber normalerweise frei in der Zelle herum und würden daher viel zu lange brauchen, um die Botenstoffe für die Signalweiterleitung an die Zellwand zu bringen. Daher docken frisch mit Botenstoff gefüllte Nervenvesikel zuvor an die Zellwand an („Auf die Plätze!“), um dort auf den Startschuss für eine Entleerung der Botenstoffe zu warten („fertig!“). Sobald der Startschuss in Form eines chemischen Signals kommt („los!“) reißen die Vesikel zusammen mit der Zellwand auf und schütten sofort Botenstoffe in die Zellumgebung aus. Von den Nachbarzellen werden diese Stoffe dann aufgenommen und erkannt. Das Andocken in die „Startposition“ ist daher von elementarer Wichtigkeit, damit das Denken und Fühlen schnell und effizient ablaufen kann. Da es aber bisher sehr schwer war, diesen Zwischenzustand kurz vor dem Startschuss zu beobachten, war bisher unbekannt, wie der Startschuss genau aussieht und kontrolliert wird.

Fusion nach dem Reißverschlussprinzip
Prof. Peter Jomo Walla und Prof. Reinhard Jahn, die beide Arbeitsgruppen für Biophysikalische Chemie an der TU Braunschweig bzw. am Max-Planck-Institut in Göttingen leiten, sind nun den Mechanismen des Denkens und Fühlens ein wesentliches Stück näher gekommen, da sie eine neue Methode entwickelt haben, mit der sie den Moment vor dem Startschuss sowie die zeitlichen Abläufe des nervlichen Wettlaufs genau beobachten können. Die Wissenschaftler haben Vesikel farbig markiert und können sehr viele von ihnen unter einem Spezialmikroskop gleichzeitig beobachten. „Mit unserem neuen Verfahren können wir nun gezielt einzelne Biomoleküle hinzugeben oder weglassen und so untersuchen, welche davon wichtig sind und wie die Mechanismen genau ablaufen“, erklärt Prof. Peter Jomo Walla.

Zunächst werden die Vesikel mit Proteinen wie mit kleinen Klammern an die Zellwand geheftet. Erst, wenn an dieser Stelle ein Nervenreiz von außen auftrifft, zum Beispiel in Form einer höheren Konzentration von Kalziumionen, löst dies die entscheidende Reaktion aus: Die Membran (Außenhaut) des Vesikels vereinigt sich blitzschnell mit der Zellmembran, und das Vesikel stülpt seinen Inhalt nach außen. Das Ganze geschieht innerhalb von Sekundenbruchteilen und spielt sich in Größenordnungen von nur wenigen Nanometern ab.

„Das kann man sich vorstellen wie bei einem Reißverschluss, der den Stoff auf der einen Seite gezielt öffnet und dann mit einem anderen Stück Stoff verbindet“, erläutert Walla. „Bisher wurde meist nur beobachtet, wie das System vor und nach der Ausschüttung aussieht – sozusagen der Läufer vorher in der Umkleidekabine und nachher auf dem Siegerpodest. Aber um die Mechanismen wirklich zu verstehen, ist natürlich der Moment kurz vor dem Startschuss entscheidend. Mit unserer neuen Methode können wir dies nun ganz einfach erkennen und herausfinden, wie der Mann mit der Pistole wirklich aussieht und wie der Läufer startet.“ (TU Braunschweig)



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