9. Februar 2010, Aktuelles, TU Chemnitz

Zerstörung von Rauschgiftplantagen mit Unkrautbekämpfungsmitteln

Es ist ein Forschungsprojekt mit vielen Unbekannten. Fest steht, dass im Auftrag der Regierung von Kolumbien Flugzeuge im Grenzgebiet zu Ecuador ein Unkrautbekämpfungsmittel – Glyphosat – versprühen, mit dem Ziel, Kokaplantagen zu zerstören. Grundlage hierfür ist der so genannte “Plan Colombia”, in dem dem Drogenanbau der Kampf angesagt wurde.

Aufgrund der schädlichen Auswirkungen für Menschen und Pflanzen auch auf ecuadorianischer Seite unterzeichneten die beiden südamerikanischen Regierungen 2005 ein Abkommen, das dafür sorgen soll, dass die Flugzeuge einen Mindestabstand von zehn Kilometern zur Grenze einhalten. “Wenn diese Vereinbarung und alle weiteren Regeln für das Versprühen eines solchen Giftes eingehalten würden, dürfte kein Glyphosat mehr nach Ecuador gelangen”, ist sich Prof. Dr. Peter Benner, Inhaber der Professur Mathematik in Industrie und Technik an der TU Chemnitz, sicher.

Ecuadorianische Wissenschaftler können jedoch nachweisen, dass es weiterhin Schäden in ihrem Land gibt, die auf Glyphosat zurückzuführen sind, wie Prof. Dr. Hermann Mena von der Universität Escuela Politecnica Nacional in Quito berichtet. “Die Menschen, die nahe der Grenze leben, sagen aus, dass die kolumbianischen Flugzeuge die Vereinbarung nicht einhalten”, so Mena. In einem gemeinsamen Projekt versuchen nun die Mathematiker aus Quito und aus Chemnitz, ein vereinfachtes Modell für die Ausbreitung des gesprühten Mittels zu entwickeln. Damit wollen sie eine Aussage treffen, ob die kolumbianische Regierung das Abkommen einhält oder nicht. “Aufgrund der schwierigen Topographie in dem Andengebiet fliegen die Sprühflugzeuge mehr als doppelt so hoch, wie sie es eigentlich dürften – aber immer noch zu niedrig, um sie mit Radargeräten zu erfassen”, erklärt Benner.

“Wir suchen die Ursache zur Wirkung”, beschreibt Dr. René Schneider, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Mathematik in Industrie und Technik. Mit einer inversen numerischen Simulation wollen die Mathematiker aus der Glyphosat-Konzentration in den Pflanzen auf die unbekannten Flugbahnen schließen. Diese Konzentration erheben andere ecuadorianische Forscher – allerdings sind die Daten recht vage, da Glyphosat in den Pflanzen relativ schnell abgebaut wird. “Oft sind deshalb nur noch die Schäden nachweisbar, aus denen darauf geschlossen werden muss, dass sie von dem Mittel verursacht wurden”, so Mena. Informationen über Wind, Temperatur und Luftfeuchtigkeit liegen den Mathematikern zumindest teilweise vor; unbekannt sind die Größe und der Typ der eingesetzten Flugzeuge und ihre Geschwindigkeit, Kenngrößen der Luftverwirbelungen, die Verdünnung des Giftstoffes und die Größe der gesprühten Partikel.

Im Mittelpunkt der Forschung stehen die beiden Phänomene Diffusion und Transport. Die Diffusion beschreibt die Ausbreitung der Sprühpartikel ohne äußere Einflüsse – hierzu liegen verschiedene Ansätze zur Modellierung in der Literatur vor. Der Transport hingegen betrachtet die dynamische Ausbreitung. Diese Vorgänge werden von Temperatur, Luftströmungen und Topographie beeinflusst. Die dazu vorliegenden Daten sowie die bereits in der Literatur bekannten Ansätze führt das Team aus Chemnitz und Quito derzeit zusammen. “Wir haben bisher eine grobe Idee, wie ein entsprechendes Modell funktionieren kann. Außerdem haben wir eine Grundlage für die Software, die zur Berechnung eingesetzt werden könnte und die wir im Moment entsprechend ergänzen”, erklärt Schneider.

“Hundertprozentig sichere Aussagen, ob die Zehn-Kilometer-Zone eingehalten wird, werden wir nicht geben können – aber einen weiteren fundierten Hinweis unter welchen Rahmenbedingungen das Unkrautbekämpfungsmittel ecuadorianisches Territorium erreicht. Wenn wir die Beobachtungen der Bevölkerung bestätigen können, müssten weitere Forschungsprojekte folgen”, sagt Mena. In letzter Zeit seien jedoch keine Sprühflüge mehr verzeichnet worden – über die Gründe dafür kann man nur spekulieren. Doch selbst wenn die Flüge komplett eingestellt würden, wäre die aktuelle Forschung nicht überholt: “Dann gibt es bestimmt bald neue Maßnahmen der kolumbianischen Regierung, bei deren Bewertung unser Modell helfen kann, denn wir betrachten ohnehin nicht die biologischen und chemischen Aspekte genau dieses Herbizids”, schätzt Benner ein.

Das Projekt wird zu 90 Prozent finanziert von der ecuadorianischen Organisation SENACYT (Secretaria Nacional de Ciencia y Tecnologia) sowie zu zehn Prozent von der Universität Escuela Politecnica Nacional in Quito und läuft noch bis Mitte 2011. (TU Chemnitz)



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