1. Dezember 2010, Uni Frankfurt

Neue Wege des Forschens und Lernens

„Nichts ist für das Innovationspotenzial der Geisteswissenschaften wichtiger als die Störung des Denkens von außen.“ Dieser Satz ist Programm in dem neuen Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften an der Goethe-Universität, das seit Beginn des Wintersemesters seine Arbeit aufgenommen hat und an dem über 120 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachbereiche neue Wege des Forschens und Lernens erproben. Denn, wie der Historiker Bernhard Jussen, Initiator und einer von zwei Sprechern des Leitungsgremiums, immer wieder beobachten konnte: Fundamentale wissenschaftliche Innovationen werden auffallend selten durch innere Weiterentwicklung der Disziplinen angestoßen, sondern von anderen Disziplinen, im offenen Dialog der Fächer; nicht selten spielen auch außerakademische Impulse eine entscheidende Rolle. Das Forschungszentrum wurde daher gegründet als Ort der transdisziplinären Forschungskommunikation, als Ort der Nachwuchsförderung und innovativen Lehrformen, aber auch als Ort der intellektuellen Vorbereitung neuer Verbundprojekte, als Kooperationspartner für außeruniversitäre Institutionen und Anlaufstelle für auswärtige Gastwissenschaftler.

„Schöpferische Forschungszusammenhänge entstehen dort, wo Arbeitsweisen, Deutungen und Methoden durch fremde Denksysteme gestört werden“, so der Forschungsdirektor des Zentrums, Dr. Falk Müller. Als Wissenschaftshistoriker und Physiker weiß er, wie notwendig und befruchtend es ist, transdisziplinär zu arbeiten. Mit dem neuen Zentrum soll der geisteswissenschaftliche Standort Frankfurt auch unabhängig von den Bewilligungszyklen der Deutschen Forschungsgemeinschaft an internationaler Strahlkraft gewinnen.

Dazu Jussen: „Wir können hier innovative Impulse entwickeln, jenseits der zurzeit geläufigen Leitformeln, jenseits des gerade als förderungswürdig betrachteten Mainstreams.“ Er hält es für zwingend erforderlich, dass die Geisteswissenschaften in überschaubaren Zeitabständen ihre Diskussionsschwerpunkte ändern: „Denn sie sind auch politische Wissenschaften und reagieren auf veränderte politische Problemstellungen. Hier frühzeitig und sensibel Neuland zu beschreiten, ist unser Ziel.“

Der Mittwoch ist der Kommunikationstag im Forschungszentrum für Historische Geisteswissenschaften: Anstöße und Störungen von außen sollen vor allem von den Mittwochskonferenzen ausgehen. Dazu werden alle 14 Tage renommierte auswärtige Wissenschaftler eingeladen – wie Anfang November der Politikwissenschaftler Herfried Münkler von der Humboldt-Universität. Gleichzeitig soll die Mittwochskonferenz als Erprobungsplenum für neue Konzepte dienen, zu dem Wissenschaftler und Studierende aller Qualifikationsstufe sich treffen. An jedem ersten Mittwoch im Monat wird zudem beim „Lunch Paper“ das interne Gespräch über die laufenden Forschungen gepflegt.
Die fächerübergreifend konzipierten Forschungsfelder des Zentrums, zu denen Themen wie „Kulturen des Politischen“, „Historische Semantik“, „Dimensionen des Ästhetischen“ und „Digital Humanities“ gehören, forcieren Frankfurter Stärken. Sie stecken in ganz unterschiedlichen Phasen der Umsetzung: Manche sind in der Phase der Antragstellung für Sonderforschungsbereiche oder Graduiertenkollegs. Bei anderen wird die Virulenz des Ansatzes erst sichtbar, einige führen auch Themen fort, die bereits gut etabliert sind oder deren Förderung zwar ausgelaufen ist, die aber noch Potenziale bieten. „In manchen Forschungsfeldern haben wir in Frankfurt eine besonders günstige Infrastruktur – beispielsweise durch die einzigartige geisteswissenschaftliche Fachinformatik und die vorbildliche, inzwischen institutionalisierte Kooperation mit den Frankfurter Museen“, ergänzt Jussen. Zu den Forschern, die sich in dem neu gegründeten Zentrum engagieren, gehören Historiker, Philosophen, Ethnologen, Archäologen, Kulturanthropologen, Kunsthistoriker, Kunstpädagogen, Rechtshistoriker, Literaturwissenschaftler und Linguisten.
Das Zentrum will zudem eine Ergänzung zu den meist auf eine Professur zentrierten Forschungs- und Lehrkonzeptionen schaffen; Jussen erläutert: „So sind beispielsweise unsere Studiengruppen eine Alternative zum ‚Meisterprinzip’ der herkömmlichen Seminare. Denn in diesen Gruppen können mehrere Lehrende verschiedener Fächer mit Studierenden unterschiedlicher Qualifikationsstufen gemeinsam arbeiten.“ Bis zu zehn Studiengruppen soll es in den kommenden Jahren geben, in denen neue Lehrformate und Inhalte quer zu den Fachbereichsstrukturen entwickelt werden. „Das erlaubt uns auch, engagierte Neulinge, fortgeschrittene Studierende und Nachwuchswissenschaftler frühzeitig in aktuelle Forschungsansätze einzubinden“, betont Müller.

Praktiziert wird dies bereits von der Studiengruppe „Geschichtspolitik, Gedächtniskultur und Bildgebrauch“: Hier diskutieren Historiker, Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler mit Studierenden aus verschiedenen Fächern, auch mit denen des neu gegründeten Masterstudiengang Curatorial Studies, über den bildlichen Umgang mit Geschichte und Erinnerung am Beispiel zeitgenössischer Videokunst. Werke ausgewählter Videokünstler werden mit einführenden Vorträgen aus der Gruppe in der „Studiengalerie 1.357“ öffentlich präsentiert. So lassen sich fachspezifisches Wissen mit kuratorischen Fragestellungen verbinden – übrigens in Kooperation mit dem Städel Museum. (Uni Frankfurt)



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