Rechtliche Bedingungen der Untersuchungshaft in Europa
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat für ein Forschungsprojekt an der Universität Greifswald 250.000 Euro bewilligt. Das Projekt Untersuchungshaft in Europa wird von Dr. Christine Morgenstern am Lehrstuhl für Kriminologie (Prof. Dr. Frieder Dünkel) geleitet. Ziel ist, rechtliche und praktische Bedingungen der Untersuchungshaft in Europa zu vergleichen und Möglichkeiten und Risiken grenzüberschreitender Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auszuloten.
Untersuchungshaft wird angeordnet, um bei Flucht- oder Verdunkelungsgefahr das Strafverfahren abzusichern. Andere Zwecke – etwa eine der Tat auf dem Fuße folgende Bestrafung oder auch eine frühe Abschreckung durch Gefängniserfahrung – dürfen nicht verfolgt werden.
In den 47 Mitgliedstaaten des Europarats gab es im September 2009 etwa 370.000 Untersuchungsgefangene. Innerhalb der Europäischen Union waren es ca. 136.000, in Deutschland gut 11.000. Viele von ihnen waren nicht Staatsbürger des Landes, in dem die Untersuchungshaft vollzogen wurde. Für alle Untersuchungsgefangenen gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch dauert diese Haft, in der die Insassen europaweit in aller Regel schlechtere Bedingungen als im Strafvollzug vorfinden, oft viele Monate, manchmal auch Jahre. Dies wird unter Menschenrechtsgesichtspunkten problematisiert, bereitet den Justizverwaltungen jedoch auch unter Organisations- und Kostenaspekten erhebliche Sorgen. Die mediale Aufmerksamkeit für spektakuläre Fälle und die Bedürfnisse einer mitunter populistischen Kriminalpolitik sorgen für zusätzliche Schwierigkeiten in diesem Bereich. Gleichzeitig wird das Ausmaß, in dem Untersuchungshaft eingesetzt wird, im europäischen Vergleich aber als Ausdruck eines bestimmten rechtskulturellen Niveaus betrachtet.
Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen überlanger Untersuchungshaft oder schlechten Haftbedingungen sind politisch unerwünscht. Innerhalb der EU stellt die Tatsache, dass auch Beschuldigte aus dem EU-Ausland noch immer häufig mit dem pauschalen Hinweis auf Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen werden, ein drängendes aktuelles Problem dar. Untersuchungshaftvermeidung muss daher sowohl national wie auch auf europäischer Ebene ein kriminalpolitisches Anliegen sein. Es fehlt aber an Forschung, die ein solches Anliegen begleiten könnte und die sowohl fundierte Kenntnisse nationaler Systeme – d. h. ihres Rechts und ihrer Praxis – als auch ein ausreichendes Verständnis für die europarechtlichen Vorgaben und die europäischen kriminalpolitischen Bedingungen aufbringt. Diese Lücke soll das vorliegende Projekt schließen.
Das Greifswalder Projekt, das am Lehrstuhl von Prof. Dr. Frieder Dünkel angesiedelt ist, soll innerhalb von 36 Monaten abgeschlossen werden. Wichtiger Bestandteil des Forschungsprogramms sind Arbeitsaufenthalte in den untersuchten Staaten, die Besuche in Haftanstalten und Interviews bei Gerichten und Staatsanwaltschaften einschließen. Unerlässlich für das Gelingen ist auch die Zusammenarbeit mit europäischen Kolleginnen und Kollegen. Hier kann Dr. Christine Morgenstern auf ein von ihr mit initiiertes Forschungsnetzwerk zurückgreifen, das von der European Science Foundation und der EU gefördert wird. (Uni Greifswald)
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