Geographischer Wandel in Europa
Europa verändert sein Gesicht: Nicht nur, dass die politischen Grenzen, die bis Ende der 1980er Jahre den Kontinent in zwei Lager trennten, inzwischen durchlässig geworden sind. Mittlerweile verblassen auch die sozio-ökonomischen Spuren, die die politische Teilung Europas hinterlassen hat. „Heute spielen mehr und mehr regionale Verbünde – auch über Ländergrenzen hinweg – die entscheidende Rolle für die gesellschaftliche, kulturelle und nicht zuletzt die wirtschaftliche Entwicklung“, sagt Prof. Dr. Ulrich Hilpert von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Inhaber des Lehrstuhls für Vergleichende Regierungslehre hat jetzt gemeinsam mit seinem italienischen Fachkollegen Prof. Dr. Nicola Bellini (Pisa) ein Buch herausgegeben, das sich dem geographischen Wandel Europas widmet.
„Sehr deutlich lassen sich diese Veränderungsprozesse an den ehemaligen Grenzregionen ablesen“, sagt Hilpert. So hätten sich viele dieser ehemals eher strukturschwachen Gebiete mittlerweile zu echten Wachstumsregionen gemausert. Als Beispiel nennt der Jenaer Politikwissenschaftler die Oberrhein-Ebene im Dreiländereck von Deutschland, Frankreich und der Schweiz. „Hier sehen wir, wie sich durch vielfältige grenzübergreifende Kooperationen ein gemeinsamer Wirtschaftsraum mit beachtlichem Potenzial entwickelt hat“, so Hilpert. Dieser Trend sei aber nicht überall in Europa zu beobachten: „In Osteuropa finden wir gänzlich gegenläufige Tendenzen“, sagt Hilpert. So seien seit dem Zusammenbruch des Ostblocks nicht nur zahlreiche neue Staatsgrenzen gezogen worden. „Auch Überlegungen zu wirtschaftlichen Entwicklungen sind in diesen neu entstandenen Nationalstaaten noch eng an die nationalen Grenzen gebunden. Deshalb werden Bereiche möglicher Synergie durch die Kooperation über Grenzen hinweg häufig nicht erfasst oder nur unzureichend genutzt.“
Dennoch, so ist der Politikwissenschaftler überzeugt, werde das Gewicht der grenzübergreifenden „Makro-Regionen“ gegenüber den Nationalstaaten künftig weiter wachsen. Dem trage auch die Europäische Union (EU) Rechnung, indem sie zehn solcher europäischer Großregionen definiert hat, die schon heute zu den führenden Wirtschaftsräumen gehören. So leben etwa in der westlichen Mittelmeerregion über 90 Millionen Einwohner. Mit einem „Bruttoinlandsprodukt“ von gut 2,5 Billionen Euro übertrifft diese Region das wirtschaftlich stärkste EU-Mitgliedsland – nämlich Deutschland. Auch die Ostseeregion mit ihren rund 80 Millionen Einwohnern und einer Wirtschaftskraft vergleichbar der Italiens hat deutlich mehr Gewicht als die meisten anderen EU-Staaten.
Der im Routledge Verlag erschienene Band mit dem Titel „Europe’s changing Geography“ vereint Forschungsbeiträge, die während vier internationaler Workshops in Jena, Pisa, Brüssel und Florenz diskutiert und für die Publikation grundlegend überarbeitet worden sind. Die Beiträge thematisieren u. a. die Europäischen Makro-Regionen als eigenständige geographische Räume und die Rolle kultureller, historischer und sprachlicher Einflüsse. Neben der Mittelmeer-Region und dem Ostseeraum sind auch der adriatischen Küsten-Region und den Pyrenäen eigene Kapitel gewidmet. Weitere Beiträge behandeln die Herausforderungen, die es hinsichtlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im post-kommunistischen Südosteuropa noch zu überwinden gilt und wie Makro-Regionen zur europäischen Integration beitragen können.
Bibliographische Angaben:
Nicola Bellini und Ulrich Hilpert (Hg.): „Europe’s Changing Geography. The Impact of Inter-regional Networks”, Routledge Verlag, London und New York 2013, 206 Seiten, 95,40 Euro, ISBN: 978-0415539777
(Uni jena)
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