12. Februar 2010, Aktuelles, Uni Duisburg-Essen

Publikation zur Aufgabenwahrnehmung bei Hartz IV

Im Streit um die Zukunft der Jobcenter scheint sich ein Kompromiss abzuzeichnen, der es ermöglicht, über den Weg der Grundgesetzänderung die bestehenden Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen zu erhalten. Denn Arbeitsförderung und –vermittlung würden nicht besser, wenn Ende 2010 die Aufgaben von Arbeitsagentur und Kommunen in der Grundsicherung (“Hartz IV”) wieder strikt getrennt werden müssen. Doppelte Zuständigkeiten würden den bürokratischen Aufwand und damit die Kosten vergrößern und die Dienstleistungsqualität für Alg-II-Beziehende deutlich verschlechtern, warnt das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen in einer aktuellen Publikation zur getrennten Aufgabenwahrnehmung im SGB II. Sie wurde soeben von der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlicht.

Zentrale Rechtfertigung für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Zuge der Hartz-IV-Reform war, dass man nur auf diesem Wege Zuständigkeiten und Leistungen “aus einer Hand” verwirklichen könne. Dazu wurden mehrheitlich die ARGEn gegründet, die allerdings 2007 wegen der Vermischung von Bundeszuständigkeiten mit traditionell kommunalen für verfassungswidrig erklärt wurden. Daneben gibt es 69 “Optierende Kommunen”, die als kommunale Träger eigenständig für einen Zeitraum von sechs Jahren (bis Ende 2010) alternative Modelle der Eingliederung von Arbeitssuchenden erproben sollen, und eine kleine Minderheit von Landkreisen, in denen es weder zur Bildung einer Arbeitsgemeinschaft noch zur Option gekommen ist. Hier wird die getrennte Aufgabenwahrnehmung bereits seit Längerem praktiziert.

Fälle dieser Sonderform haben die IAQ-Arbeitsmarktforscher Johannes Kirsch, Prof. Dr. Matthias Knuth, Gernot Mühge und Oliver Schweer exemplarisch untersucht. Dabei stellten sie fest, dass die Bewilligung von Arbeitslosengeld II ein vergleichsweise langwieriger und fehleranfälliger Prozess ist, selbst wenn die Agentur für Arbeit und die kommunale Sozialbehörde — die eine ist zuständig für die Regelleistung, die andere für die Kosten der Unterkunft und Heizung — eng zusammenarbeiten. Da beide Träger auf die Vorarbeiten des jeweils anderen angewiesen sind, lässt es sich nicht vermeiden, dass Leistungsbewilligung und Bescheiderstellung in mehreren Schleifen verlaufen. Haben die Sachbearbeiter außerdem keinen “Norm”-Antragsteller vor sich, zum Beispiel weil er ein schwankendes Erwerbseinkommen hat, was eine monatliche Anpassung der Bewilligung erfordert, ist der gegenseitige Abstimmungsbedarf höher und das Fehlerpotenzial wächst.

Zwei Anträge, zwei Bescheide und — im schlimmsten Fall — zwei Widersprüche sind und im System der separaten Aufgabenwahrnehmung die Folge. “Die Fortführung oder sogar Ausweitung des Modells der getrennten Trägerschaft kann deshalb nicht empfohlen werden”, so das Fazit des IAQ.
“Die komplizierten interorganisatorischen Abstimmungsprozesse im Leistungsbereich erfordern gerade mehr Kooperation anstelle getrennter Aufgabenwahrnehmung!”

Die Beispiele aus der Praxis weisen laut IAQ auf ein Spannungsfeld von Kooperation und Konkurrenz zwischen den Aufgabenträgern hin, machen auf Brüche und Funktionsstörungen im System aufmerksam und liefern damit wichtige Hinweise für die Ausgestaltung der künftigen SGB-II-Aufgabenwahrnehmung. Zwar könnte der Grundsatz der “Leistungen aus einer Hand” in einem Teil der Kommunen gerettet werden, wenn das Optionsmodell auf freiwilliger Grundlage ausgeweitet würde, aber auch das ist nach Ansicht von Verfassungsjuristen ohne Grundgesetzänderung nicht möglich. Prof. Dr. Matthias Knuth: “Dann kann man auch gleich eine verfassungsrechtliche Grundlage für die ARGEn schaffen, die dort greift, wo man nicht von der erweiterten Option Gebrauch macht.”
(Uni Duisburg-Essen)



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