3. September 2010, Aktuelles, Uni Duisburg-Essen

Jüdische Grabsteine entziffert

Rostrot, windschief und angeschlagen stehen die alten Grabsteine im Herzen der Stadt Worms, im „Heiligen Sand“. Dies ist der älteste erhaltene mittelalterliche jüdische Friedhof Europas – er entstand 350 Jahre vor dem berühmten Prager Gegenstück. Seiner einzigartigen Vergangenheit sind Forscher des Salomon Ludwig Steinheim-Instituts für deutsch-jüdische Geschichte an der Universität Duisburg-Essen (UDE) auf der Spur. Die brüchigen Inschriften erzählen ihnen vieles, was bisher niemand dokumentiert hat.

Mehr als 1.300 Grabsteine finden sich hier, der älteste aus dem Jahr 1076. „Dies ist der heiligste Ort des aschkenasischen Judentums“, sagt Prof. Dr. Michael Brocke vom Steinheim-Institut. Er ist Mitglied der interdisziplinären Forschergruppe, die die Grabmale untersucht. Da diese aus Sandstein hergestellt wurden, sind die Schriftfelder durch die Erosion oft ausgewaschen. Doch die Experten verstehen ihr Handwerk.

Neben bewährten Methoden wie der Textdokumentation und Fotografie kommen hochmoderne Verfahren wie Bodenradar und 3D-Streifenlichtscanning zum Einsatz. Mit feinen Lichtstreifen wird die Oberfläche der Grabsteine abgetastet, während zwei Digitalkameras, die sich neben dem Projektor befinden, zahlreiche Aufnahmen machen. So werden kleinste Unebenheiten dokumentiert, die später am Computer hebräische Schriftzeichen erkennen lassen.

Die Forscher arbeiten dabei eng mit anderen Einrichtungen zusammen. „Mit dem Know-How und Equipment des Interdisziplinären Zentrums für wissenschaftliches Rechnen sowie des Geografischen Instituts der Universität Heidelberg gelingt es uns, bisher verborgene Schätze der jüdischen Überlieferung sichtbar zu machen“, berichtet Brocke.

Katastrophen in Stein gemeißelt

Die Texte erzählen vom Leben der Lehrer, Dichter, Juristen, Hebammen und Kantorinnen. Das Massaker im Jahr 1096, bei dem Kreuzritter in Worms etwa 400 Juden ermordeten, hinterließ noch Jahrzehnte später seine Spuren: Auf dem Stein des Joel, „Sohn des Herrn Me’ir“, beide fromme Priester und Nachfahren der Opfer, spiegelt sich die Katastrophe in der Beschreibung ihrer Familie als „Pflanzstätte von Märtyrern“.

Die Ergebnisse dieses innovativen Pilotprojekts werden in einer Online-Dokumentation veröffentlicht. „Sie tragen zur besseren Kenntnis der frühen Geschichte der Juden in Deutschland bei“, so Professor Brocke. (Uni Duisburg-Essen)



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