Jens Dreyer auf Forschunsgreise am Südpol
Insgesamt 13 Monate wird der Physiker Jens Dreyer in einem Team von etwa 50 Personen im berühmten Forschungscamp Amundsen Scott verbringen und in dieser Zeit helfen, das größte Neutrinoteleskop, IceCube, am südlichsten Punkt der Erde zu komplettieren. Seit 2004 beschäftigt sich Dreyer mit IceCube, promovierte zu Beginn dieses Jahres über das Forschungsprojekt an der Technischen Universität Dortmund, Experimentalphysik Vb, bei Prof. Wolfgang Rhode. Anschließend bearbeitete und analysierte er in der Arbeitsgruppe Hochenergie- und Teilchenphysik von Prof. Julia Becker, (Theoretische Physik IV der Ruhr-Universität Bochum) Daten von IceCube, welche entweder auf Datenbändern halbjährlich per Schiff oder täglich per Satellit in den Norden geschickt werden. Doch das hat ihm nicht gereicht: Er will mit eigenen Augen sehen, wie das Projekt am Südpol gehalten wird.
Neun Monate sind die Forscher und das restliche Team (Koch, Klempner, Arzt etc.) völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Zwar sind sie via Satellit telefonisch erreichbar und auch die wissenschaftlichen Daten werden regelmäßig nach Deutschland übertragen – doch egal was passiert: Kein Transportmittel der Welt schafft es während des langen polaren Winters (Februar – Oktober), die Station zu erreichen. Temperaturen bis minus 60 Grad, Dunkelheit, Stürme und Distanzen von vielen tausenden Kilometern sind unüberwindbare Grenzen.
Kein Wunder also, dass die University Wisconsin-Madison ihre »Winter Over Experiment Operatoren« entsprechend vorbereitet. Vor Reiseantritt hat Dreyer in Madison, Delaware und Denver für den mehrmonatigen Ausnahmezustand trainiert.
In Madison wurde er mit dem entsprechenden Datenverarbeitungssystem und der Hardware vertraut gemacht, um eine optimale Überwachung der Armada von Computern sowie ggf. die Behebung von technischen Problemen des Forschungsprojekts IceCube garantieren zu können. Auch hatte Dreyer erstmals die Gelegenheit, per Computer den Detektor in der Antarktis zu steuern. Schließlich will auch das Ein- und Ausschalten des Detektors geübt sein.
In Delaware, der nächsten Station, hat der Neutrino-Forscher den Umgang mit IceTop erlernt. IceTop ist ein Teil von IceCube, welcher zur Messung kosmischer Strahlung von der südlichen Hemisphäre eingesetzt wird. Anschließend verbrachte der Physiker zwei Wochen in Denver. Dort wurde er in Wilderness Medicine geschult. Nach einem speziellen Erste-Hilfe-Kurs für Unfallversorgung in Extremsituationen wurde er in einem psychologischen Test mit rund 800 Fragen auf seine psychologische Konstitution für den Ausnahmezustand am Südpol geprüft. In der zweiten Woche ging es gleich mit dem Brandschutztraining der Rocky Mountain Fire Academy weiter. Unter realen Bedingungen einer Brandsituation probten die 30 Teilnehmenden Rettungsübungen für den Ernstfall. „Das war körperlich zwar total anstrengend, hat aber auch irrsinnig Spaß gemacht“, berichtete Dreyer.
Insgesamt 13 Tage – vom Abflug in Frankfurt am Main – war Dreyer unterwegs, um an sein Ziel, die berühmte Amundsen-Scott-Station, zu gelangen. „Es ist schon ein bisschen aufregend“, kommentierte Dreyer mit ruhrpöttlerischer Gelassenheit. „Einerseits freue ich mich auf den Südpol und die damit verbundene Herausforderung. Andererseits ist es auch schade, Freunde und Familie zurückzulassen“, fügte er dann noch vor seinem Abflug nach Singapur hinzu.
In Singapur angekommen ging es gleich weiter über Melbourne nach Christchurch, Neuseeland. Im CDC (Clothing Distribution Center) wird er mit Spezialkleidung für den Südpol ausstaffiert. Für den Flug von Christchurch nach McMurdo mit einer Boeing C17 schlüpfte der Forscher erstmals in seine Extreme Cold Weather Wear, um sich gegen die extrem kalten Temperaturen im ewigen Eis zu wappnen. Und tatsächlich, die Polarkleidung hielt, was ihr Name verspricht, denn in McMurdo ist der Himmel zwar bedeckt und die Temperaturen liegen bei -20°C, aber „es fühlt sich nicht kalt an“, versicherte Dreyer.
Eine Hercules-Maschine brachte den Naturwissenschaftler am 2. November ins Ewige Eis. Sein Gepäck erreichte den Pol allerdings mit zweitägiger Verspätung. „Es ist gar nicht so einfach, dieses in dem engen Zimmer auszupacken und die Kleidung entsprechend einzuräumen – das hat etwas von Tetris. Zwar ist das Zimmer klein, aber auch total gemütlich“, beschreibt Dreyer seine neue Herberge in der Antarktis.
Um sich an die Höhe und die trockene Luft zu gewöhnen, war in den ersten Tagen viel Trinken – mindestens vier Liter – und viel Schlaf angesagt. Offensichtlich scheint sein Körper den ungewohnten Klimabedingungen erfolgreich zu trotzen, denn die erste medizinische Untersuchung ist für den Physiker gut verlaufen. Dafür musste ein anderes Mitglied der Station krankheitsbedingt nach McMurdo geflogen werden. So hatte Dreyer als Mitglied der Fire Brigade, die zum Emergency Response Team gehört, gleich am zweiten Tag seinen ersten Einsatz und half dem Arzt bei der Evakuierung des Patienten. „Es ist alles glatt gelaufen und dem Patienten geht es auch schon besser“, berichtete Dreyer erleichtert.
Neben seiner Unterstützung der Fire Brigade ist sein Hauptauftrag innerhalb des internationalen Teams in der Forschungsstation: im Rahmen des Mammutprojekts „Ice Cube“, das ebenfalls auf der Suche nach den Neutrinos ist, ist die Armada von Computern zu überwachen. Die ersten Datenbänder hat Dreyer bereits ausgetauscht und auch einen Dienst neu gestartet. Die Daten des Detektors werden auf Datenbändern gespeichert, allerdings ungefiltert. Gefilterte Daten werden per Satellit übertragen. „In den nächsten Tagen geht es dann endlich nach draußen zum Detektor“ freut sich Dreyer.
Das Großteleskop IceCube nutzt das kristallklare Eis des Südpols, um nach Spuren von hochenergetischen kosmischen Neutrinos zu suchen – geisterhafte Teilchen, die aber wichtige Erkenntnisse über die ungeklärte Herkunft der kosmischen Strahlung liefern. Die kosmische Strahlung besteht aus geladenen Teilchen, die von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt werden. Darum kann man ihren Ursprung nicht identifizieren. Nun werden an der gleichen Stelle auch Neutrinos produziert. Diese neutralen, sehr leichten Teilchen bewegen sich auf einer nahezu schnurgeraden Bahn, ohne von Magnetfeldern beeinflusst zu werden. Sobald sie durch die Erde hindurchgehen, verwandeln sich einige der Neutrinos in Myonen, die einen Lichtkegel hinter sich herziehen. Den können Sensoren erfassen. Daher verfügt IceCube derzeit über 79 Kabelstränge mit 4.740 Sensoren, die in mit heißem Wasser gebohrten Löchern bis zu 2.500 Meter tief ins Eis versenkt werden. Mit Hilfe der Ankunftszeiten des Lichts können die Forscher die Herkunft der Neutrinos berechnen. Jens Dreyer hilft, den Detektor dieses Jahr vor Ort zu komplettieren. Das internationale Forschungsprojekt wurde von der University of Wisconsin in Madison entwickelt und von der amerikanischen Wissenschaftsstiftung NSF mit mehreren europäischen Universitäten (Schweden, Schweiz, Großbritannien, Belgien, Deutschland) co-finanziert. Mit einem Budget von 295 Millionen US-Dollar handelt es sich um das ehrgeizigste und teuerste Forschungsprojekt, das gegenwärtig in der Antarktis durchgeführt wird. (TU Dortmund)
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