Bedeutung des Akzents zur Wahrnehmung einer Person
„Ich habe fertig!“ Mit diesem Satz beendete Giovanni Trapattoni 1998 als Trainer des FC Bayern München eine Wutrede über die Leistungen der Spieler seiner Mannschaft. Und „Herr Angelo“ gibt in einer Kaffee-Werbung seiner Nachbarin mit einem verschmitzten Lächeln zu verstehen: „Ich habe gar keine Auto“. In beiden Fällen ist der Italiener am Akzent unverkennbar und so erscheinen das überschäumende Temperament des einen und die charmante Art des anderen gleich als „typisch italienisch“.
Der Akzent, mit dem eine Person spricht, spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie wir diese Person einordnen. Das haben Psychologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena jetzt herausgefunden. „Der Akzent ist dabei sehr viel wichtiger als etwa das Aussehen der Person“, nennt Dr. Tamara Rakić ein zentrales Ergebnis der Studie, die soeben in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of Personality and Social Psychology“ erschienen ist. Die Studie basiert auf der Dissertation von Dr. Rakić im internationalen Graduiertenkolleg „Konflikt und Kooperation zwischen sozialen Gruppen“.
„Das Einordnen in soziale Kategorien, zum Beispiel nach ethnischer Zugehörigkeit, passiert spontan und hilft uns, die komplexe Welt einfacher und damit verständlicher zu machen und so leichter mit Komplexität umgehen zu können“, weiß Dr. Rakić. Allerdings, so fährt die Jenaer Psychologin fort, könne aus einer Kategorisierung auch eine unreflektierte Bewertung über Stereotype werden und zu Diskriminierung führen. Wie der Prozess der Personenwahrnehmung und sozialen Kategorisierung genau abläuft, das untersuchen die Psychologinnen der Jenaer Universität im Rahmen eines Projekts von Prof. Dr. Melanie Steffens in der Forschergruppe „Personenwahrnehmung“.
In ihrer aktuellen Studie sind Dr. Rakić und ihre Kolleginnen Prof. Dr. Melanie Steffens und Prof. Dr. Amélie Mummendey dabei erstmals empirisch der Bedeutung der Sprache für die ethnische Zuordnung nachgegangen. „Mit unserer Sprache übermitteln wir nicht nur Informationen. Die Sprache selbst liefert viele Informationen über die Person, die spricht“, sagt Dr. Rakić. So lasse sich an der Sprache etwas über Temperament, Alter oder Gemütszustand ableiten. „Wer mit einem Akzent spricht, der verrät zudem seine ethnische Herkunft.“
Bislang sind Wissenschaftler davon ausgegangen, dass visuelle Eindrücke bei der Kategorisierung fremder Personen Priorität haben. „Die große Mehrzahl der bisherigen Studien konzentriert sich auf das Aussehen“, sagt die Psychologin Rakić. Der Einfluss der Sprache, genauer des Akzents, sei dagegen bisher vernachlässigt worden. Zu Unrecht, wie die Jenaer Forscherinnen nun zeigen konnten.
Sie haben Versuchspersonen Fotos von deutsch und italienisch aussehenden Personen zusammen mit einem schriftlichen Statement der Abgebildeten gezeigt. Anschließend mussten die Versuchspersonen die Aussagen diesen Personen wieder korrekt zuordnen. Im Einklang mit früheren Befunden wurden hierbei Verwechslungsfehler bevorzugt innerhalb der Gruppen der deutsch aussehenden und der italienisch aussehenden Personen gemacht, Aussagen von deutsch aussehenden wurden aber nicht fälschlicherweise italienisch aussehenden zugeordnet (oder umgekehrt). Interessant wurde es jedoch, als Akzente hinzukamen: Nun sprachen deutsch aussehende Personen mal hochdeutsch und mal mit italienischem Akzent, ebenso italienisch aussehende Menschen. „Dabei zeigte sich, dass sich die Versuchpersonen bei der Kategorisierung nahezu ausschließlich am gesprochenen Akzent orientierten“, fasst Dr. Rakić ihre Ergebnisse zusammen. Das Aussehen – das im ersten Experiment, in Abwesenheit weiterer Information, zur Kategorisierung herangezogen wurde – spielte nun keine Rolle mehr. Dies belege die große Bedeutung der Sprache als Informationsquelle bei der ethnischen Kategorisierung von Personen und steht im Einklang damit, dass akzentfreie Sprache bei der Integration die entscheidende Rolle spielt.
Original-Publikation:
Rakić T, Steffens MC, Mummendey A. Blinded by the accent! The minor role of looks in ethnic categorization. Journal of Personality and Social Psychology 2010, DOI: 10.1037/a0021522. (Uni Jena)
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