6. April 2011, Uni Bonn

Alzheimer-Forschung: Lipidfragment lässt Nervenzellen sterben

Ein körpereigenes Lipidmolekül hat fatale Auswirkungen, wenn es sich in Nervenzellen anhäuft. Das haben Forscher der Universität Bonn herausgefunden. Die Substanz löst ein Selbstmordprogramm aus, und die Zellen sterben ab. Die Erkenntnis könnte die Alzheimer-Forschung revolutionieren. Die Publikation ist jetzt im Fachmagazin Cell Death and Differentiation erschienen (doi: 10.1038/cdd.2011.7).

Verantwortlich für den Untergang von Nervenzellen ist ausgerechnet ein Molekül, das in anderen Körperzellen das Wachstum anregt. Sphingosin-1-Phosphat entsteht beim Abbau von Zellmembranen, wird aber normalerweise sofort weiter zerlegt. Kommt es zu einer Entgleisung im Stoffwechsel und häufen sich dadurch größere Mengen des Lipidfragments in Nervenzellen an, sterben die Zellen ab, haben die Wissenschaftler um Privatdozentin Dr. Gerhild van Echten-Deckert jetzt gezeigt.

Viele tote Gehirnzellen
“Wir haben Knockout-Mäuse gezüchtet, denen ein bestimmtes Eiweiß fehlte: Sie konnten Sphingosin-1-Phosphat nicht abbauen”, erläutert Mitarbeiterin Dr. Nina Hagen. Die Mäuse starben bereits mit sechs bis acht Wochen, und als die Forscher die Gehirne der toten Tiere untersuchten, sahen sie den Grund: “In den Gehirnregionen, in denen das Lipidfragment nicht mehr abgebaut werden konnte, waren die Gehirnzellen abgestorben”, sagt Dr. Hagen, “und das bei wenigen Wochen alten Mäusen!”

Den genauen biochemischen Mechanismus haben die Forscher entschlüsselt: Sphingosin-1-Phosphat setzt große Mengen Calcium aus den internen Calciumspeichern der Nervenzellen frei. Das wiederum löst eine zellinterne Signalkaskade aus – mit dem programmierten Zelltod als Endziel. “Bei anderen Körperzellen bewirkt Sphingosin-1-Phosphat Zellteilung und Wachstum”, erklärt Dr. Hagen, “aber Nervenzellen teilen sich nicht mehr. Vermutlich sind sie darauf programmiert, durch den Zelltod dem Wachstum zu entgehen – nach dem Motto: besser sterben als wachsen.” Denn das unerwartete Signal zum Wachstum könnte auch von einem Tumor herrühren.

Löst das Molekül Alzheimer aus?
Im Laufe der Signalkaskade, die Sphingosin-1-Phoshat in Nervenzellen in Gang setzt, wird auch das unter Alzheimer-Forschern bekannte Tau-Protein verändert. Bei vielen Wissenschaftlern gilt ein modifiziertes Tau-Protein als eigentliche Ursache der Alzheimer-Krankheit. Dr. van Echten-Deckert ist da skeptisch: “Die Frage ist doch, ob die Veränderung des Tau-Proteins der Grund für die degenerativen Veränderungen im Gehirn ist oder nur ein Nebeneffekt. Wir vermuten, dass vielmehr ein körpereigenes Abbauprodukt, das sich im Gehirn anreichert, die Krankheit auslöst.” Sphingosin-1-Phosphat wäre ein plausibler Kandidat für ein solches Abbauprodukt: Im Gehirn liegen besonders viele der Membranmoleküle vor, aus denen die Substanz entsteht.

Als nächstes planen die Bonner Forscher, die Gehirne von verstorbenen Alzheimer-Patienten zu untersuchen: Sie wollen dort nach Sphingosin-1-Phosphat suchen. “Hat sich in den Gehirnen der Alzheimer-Patienten viel dieser Substanz angehäuft, bekräftigt das unsere Theorie, dass ein Zuviel des Moleküls die Krankheit auslöst.”

Behält das Team um Dr. van Echten-Deckert recht, ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, Alzheimer vorzubeugen: “Man könnte dann der Anhäufung von Sphingosin-1-Phosphat gezielt entgegensteuern”, erläutert die Wissenschaftlerin, “beispielsweise mit Medikamenten, die dafür sorgen, dass die Substanz schneller abgebaut wird.”

N. Hagen, M. Hans, D. Hartmann, D. Swandulla, G. van Echten-Deckert: Sphingosine-1-phosphate links glycosphingolipid metabolism to neurodegeneration via a calpain-mediated mechanism, Cell Death and Differentiation, 2011. Online-Veröffentlichung, frei zugänglich: http://www.nature.com/cdd/journal/vaop/ncurrent/full/cdd20117a.html. (Uni Bonn)



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