Erbgut von Bärlappgewächsen entschlüsselt
Sie sind meist nur wenige Zentimeter große, unscheinbare, krautige Pflanzen und bilden noch nicht einmal Blüten. Sofern sie sich in freier Natur überhaupt entdecken lassen, werden wohl die wenigsten Laien den sogenannten Bärlappgewächsen etwas abgewinnen können. Für Wissenschaftler, wie Prof. Dr. Günter Theißen von der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sind sie jedoch von immensem Interesse: „Bärlappgewächse stellen die ursprünglichsten Gefäßpflanzen dar“, erläutert der Inhaber des Lehrstuhls für Genetik. „Aus ihren Genen lässt sich daher viel über die stammesgeschichtliche Entwicklung der Landpflanzen ablesen.“ Dass das jetzt erstmals möglich ist, daran haben der Jenaer Genetiker und seine Doktorandin Lydia Gramzow entscheidenden Anteil: Sie sind Teil eines internationalen Forscherteams, das soeben das komplette Genom des ersten Vertreters der Bärlappgewächse sequenziert und seine Gene analysiert hat. Ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen die Wissenschaftler heute (5. Mai) im Fachmagazin „Science“.
Selaginella moellendorffii gehört zu den mehr als Eintausend heute noch lebenden Arten von Bärlappgewächsen und dient den Forschern als Modellorganismus. Die Bärlappgewächse sind vor über 400 Millionen Jahren entstanden. Sie dominierten während des Karbon – vor rund 300 Millionen Jahren – als oft mehr als 30 Meter hohe Siegel- und Schuppenbäume zusammen mit Schachtelhalmen die Sumpfwälder der nördlichen Hemisphäre, aus denen später die Steinkohle entstand. „Stammesgeschichtlich sind sie das Bindeglied zwischen den ursprünglicheren Moosen und den höher entwickelten Farnen und Samenpflanzen“, erläutert Prof. Theißen. An ihnen lasse sich ablesen, welche evolutionären Innovationen es den Pflanzen ermöglicht haben, an Land nicht nur zu überleben, sondern sich dort weiterzuentwickeln.
Zu den Neuheiten, die bei den Bärlappgewächsen erstmals auftauchen, gehört die Ausbildung von verholzten Gefäßen, in denen Wasser und Nährstoffe transportiert werden. „Außerdem finden wir bei diesen Vertretern erstmals Sprossachsen und gut entwickelte Blätter“, erläutert Bioinformatikerin Lydia Gramzow. Dank der jetzt vorliegenden vollständigen Erbgutsequenz konnten die Forscher nun das erste Mal gezielt nach bestimmten Genen in Selaginella suchen. „Durch den Vergleich mit dem Genom anderer Landpflanzen können wir nun erkennen, wann bestimmte Gene im Verlaufe der Evolution entstanden sind“, so die Jenaer Nachwuchswissenschaftlerin. „Es zeigte sich beispielsweise, dass die Eroberung des Landes – der Übergang von den Grünalgen zu den Moosen – von einer wesentlich umfangreicheren Entstehung neuer Gene begleitet war, als die Entstehung der Gefäßpflanzen beim Übergang von den Moosen zu den Bärlappen. Die Entstehung der Samenpflanzen erforderte dann wieder mehr neue Gene“, macht Lydia Gramzow deutlich.
Innerhalb des über 100-köpfigen Autorenteams aus Amerika, Europa, Australien und Asien haben die Jenaer Genetiker das Selaginella-Genom gezielt nach Gengruppen durchforstet, die bei höheren Pflanzen die Blütenentwicklung steuern. Dabei haben sie allerdings nur entfernte Verwandte dieser Gene gefunden. „Ein Ergebnis, das wir erwartet haben“, resümiert Prof. Theißen, der sich in seiner Forschung auf Gene der Blütenentwicklung spezialisiert hat. Nahe Verwandte dieser Gene sind in der Evolution offenbar erst nach der Entstehung der Bärlappgewächse aufgetaucht – parallel zur Entstehung des Samens bei Samenpflanzen. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Linie, die zu den heute lebenden Samenpflanzen führt, bereits von den Bärlappgewächsen getrennt. „Das ist möglicherweise einer der Gründe, warum Bärlappgewächse bestimmte Innovationen nicht ausbilden konnten und daher im Verlauf der Evolution von den Samenpflanzen aus den meisten Lebensräumen verdrängt worden sind“, fügt Prof. Theißen hinzu.
Original-Publikation:
Banks J. A. et al.: The compact Selaginella genome identifies changes in gene content associated with the evolution of vascular plants. Science Express v. 5.5.2011
(Uni Bayreuth)
» Diesen Artikel via Mail weiterempfehlen
Schreiben Sie einen Kommentar »
Uni Jena: Masterstudiengang ohne vorheriges Bachelorstudium
An der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist es nun möglich, den dreisemestrigen berufsbegleitenden Masterstudiengang „Weiterbildung & Personalentwicklung“ auch ohne ein vorheriges Bachelorstudium zu absolvieren. Mit der Änderung der Studienordnung wird der Weg für Studieninteressierte geebnet, die bisher keinen akademischen Hintergrund haben. Die…
“genius loci” – philosophische Essays und Kunstfotografie
Unter dem Titel „genius loci“ vereinen der Jenaer Philosophie-Professor Klaus Vieweg und der in Los Angeles lebende Fotograf Patrick Lakey philosophische Essays und Kunstfotografie. Die anschauliche Publikation richtet sich insbesondere an die philosophisch interessierte Öffentlichkeit, betont Vieweg, der an der…
Bewegungsmuster zur Touchscreen-Nutzung bei Kleinkindern
Ob Tablet-Computer oder Smartphone – Touchscreens lassen sich kinderleicht und intuitiv bedienen: berühren, wischen, zoomen. Bereits als Kleinkind erschließen wir uns diese sensomotorischen Fähigkeiten. Wenn Kinder zwischen acht und 13 Monaten beginnen, mit ihrem Zeigefinger den Brei auf der Tischplatte…
Kohlenmonoxid für die Medizin nutzen
Es ist ein geruchloses, unsichtbares Gas und ein tödliches Gift: Wird Kohlenmonoxid – chemisch kurz CO – eingeatmet und gelangt ins Blut, verhindert es den lebensnotwendigen Sauerstofftransport und das führt unweigerlich zum Erstickungstod. Umso mehr mag es verwundern, dass das…
Herzmuskel-Krankheitsmechanismus ARVC5 durch Nanomedizin entschlüsselt
Biophysiker der Universität Bielefeld haben einen entscheidenden Beitrag zu einer internationalen Studie zur Erbkrankheit ARVC geleistet. ARVC (arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie) ist eine gefährliche Form von Herzmuskelerkrankung. Sie führt zu plötzlichem Herztod und ist weiter verbreitet, als bislang angenommen. Das berichtet…