18. Oktober 2009, Aktuelles, Uni Frankfurt

Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2010 in Frankfurt

100 Jahre nach seiner Premiere im Oktober 1910 findet der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie wieder in Frankfurt am Main statt. Der Jubiläumskongress vom 11. bis 15. Oktober 2010 hat das Rahmenthema ‚Transnationale Vergesellschaftungen’. In Zeiten des grenzüberschreitenden gesellschaftlichen Wandels und Wirtschaftslebens will die Soziologie auch danach fragen, wie stark sie selbst noch nationalstaatlich ausgerichtet ist. Rund 3000 Teilnehmer werden erwartet. Gastländer sind Frankreich und die USA. Der Bedeutung des Veranstaltungsortes für die akademische Disziplin Rechnung tragend, gehört eine groß angelegte Ausstellung über ‚100 Jahre Soziologie in Frankfurt’ zum Begleitprogramm. Ebenfalls geplant sind historische Führungen zu zentralen Stationen der Sozialwissenschaften in Frankfurt und Umgebung.

Ausgerichtet wird der Kongress von den Professorinnen und Professoren Tilman Allert, Wolfgang Glatzer, Klaus Lichtblau, Helma Lutz, Sigrid Roßteutscher und Gerhard Wagner des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität. Er gehört zu den drei größten sozialwissenschaftlichen Fachbereichen in Deutschland und steht in einer Tradition, die der Soziologie weit über Frankfurt hinaus entscheidende Impulse gegeben hat. Im Jahr 1919 wurde an der Goethe-Universität der erste deutsche Lehrstuhl für Soziologie eingerichtet. Am 1924 gegründeten Institut für Sozialforschung wirkten Wissenschaftler wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und Jürgen Habermas. Als ‚Frankfurter Schule’ haben nach dem Zweiten Weltkrieg Soziologen der Goethe-Universität die intellektuellen Debatten entscheidend mitgeprägt. „Wir möchten den Jubiläums-Kongress auch nutzen, um ein breiteres Publikum über unser Fach und die nach wie vor enge Verbindung mit Frankfurt zu informieren“, sagt der Frankfurter Soziologie-Professor Klaus Lichtblau vom Organisationsteam. Die Ausstellung und die Führungen sind öffentlich. Es gibt Vorträge speziell für interessierte Bürger.

Bei den Fachdiskussionen des Kongresses wird unter anderem die Frage im Mittelpunkt stehen, ob es ‚die’ deutsche Soziologie überhaupt noch gibt und ob es weiterhin sinnvoll ist, zwischen regionalen oder nationalen Varianten der deutschen oder auch französischen, europäischen und amerikanischen Soziologie zu unterscheiden. Schon in ihren Ursprüngen war sich die Soziologie der länder- und staatenübergreifenden Dimension ihres Gegenstands bewusst. Bereits Ferdinand Tönnies, der erste Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, wies darauf hin, das „die Ausbildung nationaler Staaten nur eine vorläufige Beschränkung der schrankenlosen Gesellschaft darstelle“. Zu dem von Tönnies verwendeten Begriff einer Weltgesellschaft ist es inhaltlich nicht weit zu den aktuellen Entwicklungen der Globalisierung, in der die Nationalstaaten mit ihren Volkswirtschaften nicht mehr die wichtigsten Akteure sind.

Viele Entwicklungen verlaufen nicht mehr innerhalb eines Staates oder international zwischen den Staaten oder Regierungen, sondern grenzüberschreitend, länderübergreifend und damit transnational. Banken, Konzerne, Kartelle und Nichtregierungsorganisationen konstituieren mittlerweile eine Weltgesellschaft, in der sich Globales und Lokales über alle Grenzen hinweg verschränkt. Von großer Relevanz sind dabei auch religiöse Glaubensgemeinschaften, wissenschaftliche Netzwerke, Arbeitsmigrantinnen und -migranten sowie Flüchtlinge aus der Dritten Welt in die Metropolen der Industriestaaten.

Der Jubiläumskongress in Frankfurt will eine Reflexion über die Entwicklung des Fachs mit soziologischen Zeitdiagnosen und einer Analyse verschiedener Formen der transnationalen Vergesellschaftung verbinden. Bei den insgesamt sechs Themenfeldern geht es neben Programmpunkten wie der globalen ökonomischen Vernetzung und ihren regionalen und nationalen Auswirkungen beispielsweise auch um das Spannungsverhältnis zwischen regionaler, nationaler und globaler Identitätsbildung: Ein zunehmendes soziales und bürgerschaftliches Engagement für thematisch begrenzte Problemstellungen ist heute ebenso zu verzeichnen wie ein allgemeiner Verbindlichkeitsschwund. Das Internet wiederum ermöglicht neue Formen der sozialen Beziehungen jenseits von räumlichen Grenzen und Zugehörigkeitsgefühlen. Auch bezüglich seiner identitätsstiftenden Funktion scheint der Nationalstaat an Bedeutung verloren zu haben. (Uni Frankfurt)



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