30. Oktober 2009, Aktuelles, Forschung, Uni Augsburg

Spitzenforschung in Deutschland auf dem Schleudersitz

Der Fall des – ehemaligen Augsburger und jetzt Bostoner – Ausnahme-Physikers Dr. Matthias Schneider zeigt exemplarisch die strukturelle Handlungsunfähigkeit des deutschen Systems, wenn es darum geht, der Abwanderung höchstqualifizierten Forschernachwuchses in die USA effektiv zu begegnen.

Trotz eines der begehrten und sehr renommierten “Starting Grants” des European Research Council (ERC) in Höhe von knapp 1,3 Mio Euro ist es leider wieder einmal nicht gelungen, einen ausgezeichneten Nachwuchsphysiker an einer deutschen Universität zu halten: Dr. Matthias Schneider, als Habilitand am Lehrstuhl für Experimentalphysik I der Universität Augsburg vor Kurzem bestbenotet mit einer der höchsten Auszeichnungen der Europäischen Forschungskommission bedacht, hatte bei nüchterner Betrachtung keine andere Wahl, als einem zeitgleichen Angebot der Boston University zu folgen, um dort jetzt als Assistant Professor mit tenure track unter optimalen Bedingungen und mit optimalen Perspektiven forschen zu können.

Schneider und seine Augsburger Junior-Arbeitsgruppe kooperierten seit geraumer Zeit mit Kollegen an den Eliteuniversitäten Harvard und Yale sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 2007 wurde er mit dem BMBF-Innovationspreis ausgezeichnet. Er forscht an der hoch aktuellen Schnittstelle zwischen Biologie, Medizin und Halbleiter-Nanotechnologie. Mit dem ERC-Starting Grant hätte er über erhebliche Mittel verfügt, um seine Forschungen zu finanzieren und sich für eine Professur an einer deutschen Universität zu qualifizieren.

“Nur” Assistent Professor mit tenure track
Wieder einmal kam jedoch eine amerikanische Spitzenuniversität dem deutschen bzw. europäischen System zuvor. Neben einigen anderen ausländischen Offerten erhielt Schneider zeitgleich mit der ERC-Bewilligung ein eben noch deutlich attraktiveres Angebot von der Boston University. Die ihm von Boston angetragene Stelle als Assistant Professor mit tenure track entspricht formal zwar lediglich einer deutschen Juniorprofessur. Mit einer solchen ist die Boston-Alternative, die sich Schneider eröffnet hat, aber weder hinsichtlich des persönlichen Gehalts noch mit Blick auf die apparative und finanzielle Forschungsausstattung, die ihm dort geboten wird, auch nur im Geringsten zu vergleichen.

W-besoldungsgeförderte US-Attraktivität
“Seit der Einführung der sogenannten W-Besoldung wird der wissenschaftliche Spitzennachwuchs aus Deutschland noch mehr abgeworben, als dies bereits unter dem früheren C-Besoldungssystem der Fall war”, meint Schneiders – nunmehr – ehemaliger Augsburger Chef Prof. Dr. Achim Wixforth. Das deutsche Universitätssystem sei in seiner bürokratischen Komplexität, mit seiner schlechten Bezahlung, mit seinen viel zu komplizierten und viel zu langen Berufungsverfahren und insbesondere auch wegen der sehr ungewissen Zukunftsaussichten, die es Spitzennachwuchsforschern biete, offensichtlich – und sogar im Falle hoher finanzieller Anreize aus Brüssel – mit den Systemen anderer Ländern nicht konkurrenzfähig -schon gar nicht mit demjenigen der USA.

Unvergleichlich bessere Arbeitsmöglichkeiten
“Seitdem ich vor sieben Jahren nach Augsburg gekommen bin, haben sich drei junge Forscher in meiner Gruppe habilitiert. Mit Matthias Schneider ist jetzt bereits der zweite, der sofort nach dem Auslaufen seines hiesigen Zeitvertrags ins Ausland abgeworben worden. Natürlich”, so Wixforth, “freue ich mich sehr, dass meine jungen Mitarbeiter international offenbar sehr begehrt sind. Gleichwohl hätte ich mir gewünscht, dass sie ihre Potentiale als Spitzenforscher hier in Deutschland an einer Universität hätten entfalten können. Ich kann es diesen hochqualifizierten jungen Kollegen aber nicht verdenken, wenn sie ihre Zukunft dort sehen und wenn sie ihr Glück dort suchen, wo sie einfach die besseren Arbeitsmöglichkeiten in einem bürokratisch wesentlich weniger belasteten, materiell dafür aber wesentlich besser ausgestatteten Forschungsumfeld vorfinden. Die in meiner Arbeitsgruppe seit Jahren erfolgreich praktizierte Internationalisierung ist von der deutschen Wissenschafts- oder Hochschulpolitik ja ausdrücklich gewünscht. Und im Rahmen unserer Exzellenzinitiativen und sonstigen Forschungsprojekte werden Kooperationen mit dem Ausland deshalb auch stark gefördert. Wenn wir dabei aber nicht wie die ehemaligen Ostblockstaaten ausbluten wollen, müssen wir uns hierzulande endlich an eine Neuorganisation unseres Berufungs- und Besoldungssystems machen. Wir brauchen ein System, das den Wissenschaftsstandort Deutschland im Wettbewerb um den eigenen, von ihm selbst ‘produzierten’ wissenschaftlichen Spitzennachwuchs wieder einigermaßen konkurrenzfähig macht. Sich untätig darüber zu freuen, dass wir auch hier ‘Exportweltmeister’ sind, wäre ebenso selbstgefällig wie kurzsichtig.”

Spitzenforschung auf dem Schleudersitz
Matthias Schneider sieht das ähnlich wie Wixforth: “Keine Frage, dass die meisten jungen Forscher gerne in Deutschland bleiben würden. Allerdings besetzen die meisten meiner Kollegen – wie ich bislang selbst ja auch – nur eine zeitlich befristete Habilitationsstelle, die – völlig unabhängig von der nachgewiesenen wissenschaftlichen Leistung – eben einfach irgendwann ausläuft. Wer bis dahin nicht ‘untergekommen’ ist, hat Pech gehabt, wird arbeitslos oder wandert eben ins Ausland ab, wo man respektvoll aufgenommen wird. Die Grenzen verschmelzen, die Wege werden kürzer und die mit einer Abwanderung verbundenen persönlichen Belastungen werden dadurch immer leichter zu ertragen. Man sollte sich meines Erachtens nicht einfach weiterhin mit dem Kopf im Sand darauf verlassen, dass junge Forscher auf Grund ihrer sozialen Bindungen und ihres Engagements in der Regel schon in Deutschland bleiben werden. Es scheint mir unklug, die Nerven gut ausgebildeter junger Forscher auf dem Höhepunkt ihrer Produktivität einfach auf dem ‘Schleudersitz’ auszutesten. Ich hätte mir gewünscht, dass man mir hier im Lande ein klein wenig mehr Vertrauen geschenkt hätte, aber bevor ich dann das Boston-Angebot angenommen habe, waren meine international als hervorragend anerkannten Forschungsergebnisse für mich im persönlichen Bereich ja nicht einmal soviel Wert, dass ich mir sicher hätte sein können, in ein paar Monaten noch meine Miete bezahlen zu können. Mein Zeitvertrag war kürzlich ausgelaufen, und trotz einiger Listenplätze hatte ich noch keinen Ruf in Deutschland erhalten. Die Berufungsverfahren ziehen sich hier oft viel zu lang hin. Die Boston University war es, die mir unaufgefordert diese Sorge genommen hat – auf Kosten freilich der ERC-Forschungsgelder, die nun eben leider nach Brüssel zurückgehen.”

Deutsche und europäische Flexibilitätsgrenzen
Selbst mit dem knapp 1,3 Millionen schweren ERC-Starting Grant im Hintergrund hatte die Universität Augsburg selbst nicht den Spielraum, um Schneider ein Angebot zu machen, das demjenigen aus Boston vergleichbar gewesen wäre. Zumal auch die Augsburger Bemühungen, die EU zu überzeugen, Schneider im Einvernehmen mit Boston für wenigstens ein Viertel seiner Zeit an der Universität Augsburg mit einer eigenständigen Arbeitsgruppe zu etablieren und sein Know-how so wenigstens partiell für Deutschland und Europa zu erhalten, an den Flexibilitätsgrenzen der Brüsseler Forschungsverwaltung scheiterten.

Selbstverantwortete (Konkurrenz-)Unfähigkeit
“Der Fall Matthias Schneider ist ein sehr konkretes Beispiel dafür, dass wir hier in Deutschland und Europa aus von uns selbst zu verantwortenden strukturellen Gründen nicht fähig dazu sind, international ausgewiesenen Forschernachwuchs gegen die unvergleichlich attraktiveren Bedingungen, die insbesondere US-amerikanische Universitäten bieten, im Land bzw. auf dem Kontinent zu halten”, meint Prof. Dr. Bernd Stritzker. Als Geschäftsführender Direktor des Instituts für Physik der Universität Augsburg war er maßgeblich an den Bemühungen, Schneider zu halten, beteiligt. Die Probleme, an denen dies gescheitert ist, sieht Stritzker zwar nicht als den einzigen, aber doch als einen ganz wesentlichen Grund, weshalb man sich nicht wundern müsse über das eher mittelmäßige Abschneiden Deutschlands bei internationalen Universitätsrankings, wie eines jüngst wieder vom britischen Hochschulmagazin “Times Higher Education” publiziert wurde. Unabhängig von alledem bleibt für Wixforth zumindest die Genugtuung, sich darüber freuen zu können, “wie einer meiner nun – leider – ehemaligen Mitarbeiter auf der Homepage der Boston University willkommen geheißen wird – samt seinem Anspruch ‘to untangle the complexity of biological processes and find a unified explanation or law of seemingly independent phenomena in nature, to finally see the forest and not the trees’.” (http://www.bu.edu/me/2009/09/21/me-department-welcomes-matthias-schneider) (Uni Augsburg)



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