Neuer Algorythmus zur Erkennung der Wald-Biomasse
Eine groß angelegte Bestandsaufnahme der Waldgebiete dieser Erde würde Wissenschaftlern ein besseres Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs und die Erstellung genauerer Klimaprognosen ermöglichen. Allerdings stellte es sich bisher als problematisch dar, die dafür benötigten Karten zu erstellen – bis jetzt. Mit einem neuen Algorithmus, der Bildermengen eines Radars (Advanced Sythetic Aperture Radar/ASAR) des Envisat-Satelliten der Europäischen Weltraumagentur (ESA) nutzt, kann die Wald-Biomasse weit über das bisher bekannte Maß hinaus erkannt werden. Entwickelt wurde der innovative Algorithmus von Dr. Maurizio Santoro von der Schweizer Firma Gamma Remote Sensing in Kooperation mit Dr. Oliver Cartus von der Universität Jena.
Wälder spielen eine Schlüsselrolle im Kohlenstoffkreislauf der Erde, indem sie Kohlenstoff aus der Atmosphäre absorbieren und in Bioenergie speichern. Intakte Wälder absorbieren Kohlenstoff. Gefällte oder abgebrannte Wälder hingegen werden zu Kohlenstoff-Quellen, die das Gas in die Atmosphäre freisetzen. Schätzungen besagen, dass die untersuchten nördlichen (borealen) Nadelwälder etwa 14,5 Prozent der Land-Erdoberfläche bedecken, eine Fläche von fast 16 Millionen Quadratkilometern. Dass aus diesen Schätzungen bald Fakten werden können, daran haben die mit dem neuen Algorithmus ermöglichten Satellitenkarten großen Anteil.
„Biomasse ist eine der einflussreichsten Klimavariablen, die das Funktionieren des Erdsystems definieren“, sagt Prof. Dr. Christiane Schmullius von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Sie ist zugleich der große unbekannte Faktor im Kohlenstoffkreislauf. Da keine akkuraten Biomasse-Landkarten existieren, wissen wir nicht, wie viel sich verändert und wir können keine exakten Berechnungen anstellen“, so die Lehrstuhlinhaberin für Fernerkundung weiter. „Mit dem neuen Algorithmus haben wir zum ersten Mal etwas in der Hand, das ein erster Schritt zu einer globalen Landkarte der Biomasse sein könnte.“
Im BIOMASAR-Projekt, das von Schmullius koordiniert und von der ESA gefördert wurde, ist nun innerhalb eines Jahres der Algorithmus weiterentwickelt und seine Funktionsfähigkeit bestätigt worden. Dazu wurden ASAR-Daten genutzt, die in der Lage sind, auch bei Dunkelheit und dichten Wolken aus existierenden Vor-Ort-Informationen stimmige Bilder zu erstellen. Um den Algorithmus zu validieren, wurden verschiedene Test-Orte in Skandinavien, Sibirien und Kanada ausgewählt, von denen entsprechende ASAR-Bilder vorlagen. Die Resultate der Tests bewiesen, dass das Wald-Volumen (Growing Stock Volume – GSV) – die Menge von Stammholz in Kubikmetern pro Hektar – durch Envisat-ASAR-Daten in Nadelwäldern in einer bisher noch nicht da gewesenen Genauigkeit bis zu 500 Kubikmeter pro Hektar angezeigt wird.
Mit der neuen Methode können nun die Envisat-Archive genutzt werden, um jährlich weltweite GSV-Karten über das gesamte bewaldete Gebiet der Nordhalbkugel mit einer Auflösung von zehn Kilometern und einer Genauigkeit von über 80 % herzustellen. Die üblichen Probleme der gängigen Satellitendaten wie Wolkenbedeckung werden dabei vermieden.
Dr. Maurizio Santoro, der die Algorithmusentwicklung initiiert hat, sagt den ASAR-Bildern eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Karten voraus. „Diese Karten können jetzt und in naher Zukunft mit keinem anderen Sensor produziert werden. Das liegt an der räumlichen Abdeckung der ASAR-Bilder im ScanSAR-Modus und an dem weltweiten, seit sieben Jahren gepflegten Datenbestand der Bilder, auf die man zugreifen kann“, erklärte er. „Es ist das erste Mal, dass wir verfügbare Daten und einfache Werkzeuge nutzen können, um eine räumlich konsistente Beschreibung von Wäldern zu erhalten, die für die Nutzer befriedigend sind.“
Die Frage liegt nahe, warum der Algorithmus nicht vorher entwickelt wurde. Die Antwort ist überraschend einfach: Niemand hatte an diese Möglichkeit gedacht.
„ASAR erstellt Bilder im C-Band, das nicht die Wellenlänge und Sensibilität besitzt, um auch Wälder mit höherer Bewuchsdichte abbilden zu können“, erläutert Prof. Schmullius. „Dr. Santoro stellte fest, dass die Sensibilität in Bezug auf höhere Klassen von Biomasse steigt, wenn Datenmengen verschiedener zeitlicher Phasen kombiniert werden“, so die Jenaer Erdbeobachtungs-Expertin. „Er stellte fest, dass das Signalrauschen bei einem Minimum von 60 Szenen so reduziert ist, dass man ein exzellentes Signal über die Walddichte erhält. ESA ist die einzige Weltraum-Agentur, die – da sie routinemäßig weltweit operiert – historische und aktuelle Daten besitzt. Wir erwarten dringend den Start von Sentinel-1, der uns Gelegenheit geben wird, noch bessere Karten zu erstellen.“
Sentinel-1, dessen Start für 2012 geplant ist, wird die Fortsetzung der gesamten SAR-Datengewinnung mit Schwerpunkt auf den C-Band-Daten gewährleisten. Er wird im ScanSAR-Modus mit einer viel höheren Auflösung im Vergleich zu ASAR arbeiten. Eine Flotte von fünf Sentinel-Satelliten wird derzeit von der ESA im Rahmen der EU-Inititative „Global Monitoring for Environment and Security“ entwickelt.
Mit den Daten des ASAR-Archivs kann der nun überprüfte Algorithmus über der gesamten nördlichen Nadelwald-Zone eingesetzt werden. Er kann auch genutzt werden, um Karten über den Wandel in der Landnutzung und den Verlust von Biomasse zu erstellen. „Wir hoffen“, so Prof. Schmullius, „die Anwendung in der Zukunft so erweitern zu können, dass auch Mischwälder und Savannen einbezogen werden und jährliche Aktualisierungen der Karten zur Verfügung gestellt werden können“. (Uni Jena)
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