12. Juli 2010, Aktuelles, Uni Frankfurt

Forschungsprojekt zur Bronzezeit in Westsibirien

Der Ort des Geschehens liegt 3.530 Kilometer Luftlinie vom Campus Westend in Frankfurt entfernt in Westsibirien, mitten in der russischen Steppe und kurz vor der Grenze zu Kasachstan. Dieses Gebiet im Trans-Ural spielt seit kurzem eine wichtige Rolle für Prof. Rüdiger Krause, Professor für Vorgeschichte Europas am Institut für Archäologische Wissenschaften, und seine russische Kollegin, Prof. Ludmila Korjakova von der Russischen Akademie der Wissenschaften Ekaterinburg. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Russischen Stiftung für Geistes- und Sozialwissenschaften in Moskau (RGNF) leiten sie seit 2008 ein großes Team von Spezialisten der unterschiedlichsten Disziplinen. Zu diesen gehören auch renommierte Wissenschaftler der Goethe-Universität. Zusammen mit Archäobotanikern und Vegetationsgeschichtlern, Bodenkundlern und Biologen, Archäometallurgen, Geologen, Geophysikern und Vermessungsspezialisten entwickeln die beiden Projektleiter auf Basis eines zentralen Datenpools erstmals umfassende Grundlagen für die Erforschung von vorgeschichtlichen Gesellschaften der Bronzezeit im Trans-Ural. Dreh- und Angelpunkt sind die überaus reichen Mineral- und Erzvorkommen des Urals. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass diese Vorkommen, mit denen das so genannte Metallzeitalter beginnt, bis heute von herausragender Bedeutung für die Menschheitsgeschichte sind.

An der Trennlinie zwischen Europa und Asien erstreckt sich vom Nordmeer bis in die Steppenzone mit einer Länge von über 2.000 Kilometer der Ural – die „Steinerne Mauer“. Hier begegnen sich Europa und Asien, ein Raum, für den wir heute den Begriff Eurasien verwenden. Am südöstlichen Ende des Urals ist dem bewaldeten Mittelgebirge ein hügeliges Land vorgelagert, das als Trans-Ural bezeichnet wird und im Osten in die Weiten der sibirischen Tiefebene übergeht. Die Menschen, die hier vor 4.000 Jahren lebten, haben einzigartige Zeugnisse hinterlassen, die nicht nur in Forscherkreisen großes Erstaunen hervorrufen: Befestigte Siedlungen mit regelhafter, funktionaler Innengliederung und systematisch angeordneten Häusern, die wie aus dem Nichts aufzutauchen scheinen und nach ungefähr zwei Jahrhunderten ebenso plötzlich im bislang noch undurchsichtigen Nebel der weiteren Geschichte wieder verschwinden.

Archäologisch ist der Trans-Ural durch eine beeindruckende Vielfalt an kulturellen Hinterlassenschaften gekennzeichnet, unter denen die Monumente der sog. Sintaschta- und Petrovka-Kulturen einen besonderen Stellenwert einnehmen. Die Steppe wird an vielen Stellen überragt von Gräberfelder mit so genannten Kurganen (Grabhügeln), die im engeren Umfeld dieser Siedlungen liegen. Als Grabbeigaben enthalten diese sogar Streitwagen, die über die älteste, weltweit bekannte Speichenrad-Technologie verfügen. Auch finden sich in den Grabhügeln Pferdegeschirre mit scheibenförmigen Trensenknebeln, die bis an die untere Donau und zu den bronzezeitlichen Schachtgräbern von Mykene zu finden sind. Sie bezeugen weiträumige Kontakte durch die Weiten der Steppe zwischen Ost und West.

Die spektakulären Funde wurden durch die Auswertung jahrzehntelang unter Verschluss gehaltener Luftbilder durch eine russische Geologin möglich. Auf den Abbildungen sind insgesamt 22 Siedlungen vergleichbaren Typs identifizierbar, verteilt über ein relativ kleines Gebiet von 250 Kilometern und 300 Kilometern. Die bis zu vier Hektar großen Siedlungen werfen spannende Fragen weit über die Region bis in die europäische Vorgeschichtsforschung auf. Denn bevor die Siedlungen angelegt wurden, gab es in der Steppe nur Nomaden. Es ist nicht bekannt, woher diese neuen Gruppen kamen, die die Siedlungen errichteten. Ebenso wenig wissen die Forscher bisher, wie sie bewirtschaftet wurden. Waren ihre Bewohner Viehzüchter, Halbnomaden, Bauern, oder mehreres davon?

Rüder Krause schwärmt: „Dies ist ein großartiges Projekt. Wir stehen hier womöglich am Anfang der Entdeckung einer völlig neuen Kultur, die bisher komplett unbekannt war, jedoch möglicherweise eine sehr weit gespannte Ausstrahlung bis in unsere Regionen entfaltet hat. Das Rätsel der Steppe ist noch lange nicht gelüftet!“ (Uni Frankfurt)



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