Patentierbarkeit von Erfindungen mit ES-Zell-Linien auf dem Prüfstand
Auf Antrag des Bundesgerichtshofes (BGH) befasst sich der Europäische Gerichtshof derzeit mit der Auslegung der europäischen Biopatentrichtlinie. Infrage steht vor allem die Patentierbarkeit von Erfindungen, welche die Verwendung sogenannter ES-Zell-Linien beinhalten. Letztere werden in zahlreichen europäischen Staaten aus überzähligen Eizellen gewonnen, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung in großen Mengen entstehen. Mittlerweile stehen weltweit mehrere Hundert solcher Zelllinien zur Verfügung. Nach Auffassung des Generalanwalts genügt jedoch bereits die Tatsache, dass diese Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen gewonnen wurden, um auf diesen Zellen aufbauende Patente zu verbieten. Prof. Dr. Oliver Brüstle, Direktor des Instituts für Rekonstruktive Neurobiologie der Universität Bonn, befürchtet gravierende Nachteile für die Entwicklung Stammzell-basierter biomedizinischer Verfahren in Europa.
In einem seit Jahren schwelenden Rechtsstreit zur Patentierbarkeit von Stammzelltechnologien hat heute der Generalanwalt der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) seinen Schlussantrag vorgelegt. Darin stellt der Generalanwalt Yves Bot definitiv klar, dass embryonale Stammzellen (ES-Zellen) im rechtlichen Sinn nicht als Embryonen zu verstehen sind. Trotz dieser klaren Definition nimmt der Generalanwalt allerdings eine überraschend restriktive Position hinsichtlich der Patentierbarkeit von Erfindungen ein, die auf etablierten ES-Zelllinien aufbauen. Demnach wären auf ES-Zellinien aufbauende Erfindungen auch dann von der Patentierbarkeit auszuschließen, wenn die Gewinnung der Zelllinien viele Jahre vorher stattgefunden hat und nicht Bestandteil des erfindungsgemäßen Verfahrens ist. Dahinter steht die Überlegung, dass ES-Zelllinien ursprünglich aus befruchteten Eizellen gewonnen wurden.
Jährlich fallen im Rahmen der künstlichen Befruchtung international große Mengen an so genannten ,überzähligen’ befruchteten Eizellen an, die zunächst tiefgefroren und dann in großer Zahl verworfen werden. Alternativ können aus solchen überzähligen Eizellen im Labor medizinisch wertvolle ES-Zelllinien isoliert werden. Einmal gewonnen, lassen sich solche ES-Zelllinien über viele Jahre vermehren und in alle Körperzellen ausreifen, ohne dass dabei erneut auf Eizellen zurückgegriffen werden muss. Im konkreten Fall geht es um ein bereits im Jahr 1999 erteiltes Patent zur Gewinnung von Nervenzellen aus ES-Zelllinien.
Brüstle äußerte sich überrascht und unzufrieden zu dieser Stellungnahme: “Der Generalanwalt nimmt damit eine restriktivere Haltung ein als die europäische Kommission und sämtliche von den Mitgliedsstaaten eingegangenen Stellungnahmen”. Selbst in diesem Gebiet bekanntermaßen restriktive Staaten wie Portugal und Irland hatten in ihren Äußerungen dafür plädiert, Stammzell-Erfindungen nicht von der Patentierbarkeit auszuschließen, wenn sie auf der Verwendung bereits existierender ES-Zelllinien aufbauen. Der Vorschlag des Generalanwalts trägt laut Brüstle und seinen Anwälten auch nicht zu einer Vereinheitlichung der sehr unterschiedlichen Rechtsauffassungen in Europa bei. “Niemand würde in Großbritannien oder Schweden auf die Idee kommen, Patente für entsprechende Verfahren in Frage zu stellen.”
Der Schlussantrag des Generalanwalts ist nicht bindend; ihm folgen nun eingehende Beratungen und letztendlich das Votum der Kammer. Sollte die Kammer dem sehr restriktiven Beschlussvorschlag folgen, hätte das laut Brüstle gravierende Nachteile für die Entwicklung von Stammzell-basierten biomedizinischen Verfahren in Europa. “Man fragt sich auch, warum millionenschwere EU-Förderprogramme für die Therapieentwicklung auf Grundlage embryonaler Stammzellen aufgelegt werden, wenn am Ende der praktischen Umsetzung durch Patentierungsverbote ein Riegel vorgeschoben wird. Während die Stammzelltechnologie in den USA und Asien bereits vielerorts in die medizinische Anwendung kommt, diskutieren wir noch über Grundsatzfragen und machen wertvollen Vorsprung kaputt”, so Brüstle. (Uni Bonn)
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