Optogenetik – neuer Forschungszweig der Neurobiologie
Neuronale Netzwerke, insbesondere bei Säugetieren und Menschen, stellen die bei weitem kompliziertesten Systeme des Universums dar. Ein einzelnes der 100 Milliarden (1011) Neurone des Menschen kann mit bis zu 10.000 anderen Neuronen verschaltet sein. In seiner Gänze wird man dieses enorm komplexe System kaum verstehen können.
Doch ist es möglich, die Gehirnfunktion als das Zusammenspiel zahlreicher kleiner, ‚elementarer‘ Schaltkreise zu verstehen. Prof. Alexander Gottschalk, seit Anfang März Heisenberg-Professor an der Goethe-Universität, untersucht die Funktion elementarer Nervenschaltkreise in einem einfachen Modellsystem, dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans. In Zusammenarbeit mit der Gruppe von Prof. Ernst Bamberg am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt hat er über gentechnische Methoden licht-aktivierbare Proteine aus Grünalgen beziehungsweise Bakterien in das Nervensystem des Wurmes ‚verpflanzt‘. Auf diese Weise gelang es, diese Nervenzellen durch Beleuchtung von außen zu aktivieren oder zu hemmen, so dass man Rückschlüsse auf ihre Funktionen ziehen kann.
Die Arbeiten Gottschalks haben maßgeblich zur Entwicklung eines neuen Forschungsgebiets in der Neurobiologie beigetragen, der sogenannten Optogenetik. Seine und ähnliche Ansätze zur Steuerung von Nervenzellen mit Licht werden inzwischen in zahllosen Laboren der Welt angewendet. Sie ziehen viele Studierende und begabte Nachwuchswissenschaftler an. Dabei hat das Labor von Gottschalk als erstes überhaupt die Anwendbarkeit (und Anwendung) optogenetischer Methoden in einem lebenden Tier zeigen können. C. elegans, ein mikroskopisch kleiner, durchsichtiger Fadenwurm, besitzt gerade mal 302 Nervenzellen, die durch Elektronenmikroskopie genau kartiert wurden. Obwohl der Wurm mit seinen circa 7.000 Synapsen weniger ‚Verschaltungen‘ aufweist, als ein einzelnes menschliches Pyramidal-Neuron, findet man doch große Ähnlichkeiten zum Säuger, wenn man das Zusammenwirken der Neuronen betrachtet. So finden sich im Fadenwurm Interaktionen in Nervenzellen zur Geruchswahrnehmung, die analog zu Schaltkreisen in der Säuger-Retina funktionieren.
Die bei C. elegans erprobten Prinzipien der Nervensteuerung durch Licht könnten in absehbarer Zeit vielleicht auch beim Menschen anwendbar sein, zum Beispiel, um bei besonders starken Formen der Epilepsie oder der Parkinson’schen Krankheit Nervenzellen, die ‚aus dem Ruder‘ laufen, mit Hilfe von Licht ruhigzustellen. „Das klingt futuristischer als es ist“, versichert Gottschalk, denn bereits heute implantiere man zum gleichen Zweck Elektroden ins Hirn der Patienten – mit dem deutlichen Nachteil, dass man nicht bestimmen könne, welche Nervenzellen beeinflusst werden. Dadurch sind unerwünschte Nebeneffekten möglich. „Mithilfe der Optogenetik ließen sich ganz gezielt nur die erwünschten Neuronen ansteuern, ausserdem sind Lichtfasern viel dünner und weniger invasiv als Drahtelektroden“, so Gottschalk. Weitere medizinische Anwendungen der Optogenetik stellen Versuche dar, durch Expression des Algenproteins ChR2 im Auge bestimmte Formen von Blindheit zu kurieren, bei denen die Photorezeptorzellen degenerieren (Retinitis pigmentosa). Auch elementare Mechanismen der Kommunikation zwischen Neuronen mithilfe chemischer Botenstoffe (Neurotransmitter) ähneln sich bei Fadenwurm und Säugetieren, so dass sie sich auch in C. elegans (und dort um Einiges einfacher) untersuchen lassen. Gottschalks Arbeitsgruppe kann Nervenzellen mit Licht sehr präzise und mit geringem experimentellem Aufwand stimulieren. Auf diese Weise können molekulare Defekte in der Neurotransmissionsmaschinerie der Nervenzellen von genetischen Mutanten exakt charakterisiert werden. Die Gruppe benutzt weiterhin biochemische Methoden, um Proteinkomplexe und Organellen aus dem Nervensystem des Fadenwurms zu isolieren und dabei neue Proteine zu entdecken, die für die Nervensystemfunktion bedeutsam sind.
Alexander Gottschalk hat seit dem 1. März eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Heisenbergprofessur inne. Er arbeitet am Institut für Biochemie der Goethe-Universität in Bereich ‚molekulare Zellbiologie und Neurobiochemie‘ und ist zudem Adjunct Investigator im Exzellenzcluster Makromolekulare Komplexe. Nach einem Grundstudium der Chemie in Frankfurt (bei einigen Professoren, die heute seine Kollegen sind), führte ihn sein wissenschaftlicher Werdegang über Marburg, Edinburgh (UK) und San Diego (USA) 2004 zurück an die Goethe-Universität. Dort war er zunächst sechs Jahre lang Juniorprofessor für molekulare Membranbiologie am Institut für Biochemie. Prof. Gottschalk ist mit einer Apothekerin verheiratet, das Paar hat drei Töchter (sieben, sechs und ein Jahr/e alt). (Uni Frankfurt)
» Diesen Artikel via Mail weiterempfehlen
Schreiben Sie einen Kommentar »
Einfluß von Aminen bei der Bildung von Aerosolteilchen
Neue Einblicke in die Wolkenbildung haben Forscher der Frankfurter Goethe-Universität gewonnen. Sie haben herausgefunden, dass Amine möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Bildung von Aerosolteilchen haben: Sie fungieren als eine Art „Superkleber“. Aerosolteilchen wirken wesentlich bei der Wolkenbildung mit. Denn…
Duft weißer Trüffel stammt von Bodenbakterien
Trüffel gehören, zusammen mit Kaviar, zu den teuersten Lebensmitteln weltweit. Weil sie unterirdisch wachsen, spürt sie der Mensch mithilfe abgerichteter Hunde oder Schweine auf. Der charakteristische Geruch ist aber nicht nur für Feinschmecker interessant. Eine Gruppe deutsch-französischer Wissenschaftler unter Federführung…
Bewegungsmuster zur Touchscreen-Nutzung bei Kleinkindern
Ob Tablet-Computer oder Smartphone – Touchscreens lassen sich kinderleicht und intuitiv bedienen: berühren, wischen, zoomen. Bereits als Kleinkind erschließen wir uns diese sensomotorischen Fähigkeiten. Wenn Kinder zwischen acht und 13 Monaten beginnen, mit ihrem Zeigefinger den Brei auf der Tischplatte…
Schnellere Produktion von Bioethanol aus Abfällen
Hefen schmeckt der hochwertige Zucker Glucose besser als die aus Pflanzenresten gewonnene Xylose. Deshalb vergären sie den Abfallzucker erst dann zu Bioethanol, wenn es keine Glukose mehr gibt. Das verlängert die Produktionszeiten und verursacht dadurch höhere Kosten. In der renommierten…
“100 Jahre Goethe-Uni”-App
Die Goethe-Universität wird 100 Jahre alt und alle können mitfeiern – auch dank der neuen Jubiläums-App, die in Zusammenarbeit mit dem Berliner Startup Guidewriters entstanden ist. Die „100 Jahre Goethe-Uni“-App ist der digitale Wegbegleiter durch das Jubiläumsjahr der Goethe-Universität. Weit…