Blick in die Klimageschichte des Nahen Ostens
Nie zuvor konnten Wissenschaftler so weit in die Klimageschichte des Nahen Ostens zurückblicken: Ein internationales Team hat 220 Meter tief im Grund des Vansees gebohrt. Erste Stichproben der Bohrkerne zeigen: Das Klima schwankte dramatisch, gewaltige Vulkanausbrüche waren nicht selten, Erdbeben erschütterten die Region – und der jetzt lebensfeindliche salzhaltige See war früher mal ein Süßwassersee. Am Montag präsentieren Forscher der Universität Bonn zusammen mit ihren Kollegen ihre ersten Ergebnisse auf einem geowissenschaftlichen Kongress in Wien. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst.
Würde man alle Bohrkerne, welche die Forscher aus dem Grund des Vansees ergattert haben, aneinanderreihen, ergäben sie eine Länge von 800 Meter. Die Bohrung im letzten Jahr hat sich gelohnt, berichtet jetzt der Bonner Paläontologe Professor Dr. Thomas Litt. Er ist Sprecher eines internationalen Forscherkonsortiums, das die Sedimente des Vansees genauer unter die Lupe nehmen will. “Die Sedimente in unseren Bohrkernen stammen aus den letzten 400.000 Jahren – und das ist wirklich spektakulär!”, sagt Prof. Litt. “Bisher gibt es in der Region des Nahen Ostens kein so weit zurückreichendes kontinentales Klimaarchiv. Außerdem ist die Qualität der Bohrkerne und damit die zeitliche Auflösung hervorragend.”
Auf dem Boden eines Sees sammeln sich über viele Jahrtausende ungestört Mineralien, Blütenstaub und andere Materialien an – Zeitzeugen der Klimageschichte einer Region. Der Vansee liegt im Osten der Türkei; seine Sedimente haben besonders viele Geschichten zu erzählen, denn der See ist sehr alt. Außerdem ist er groß und tief, so dass sich dort ungestört alles ablagern konnte, unbeeindruckt von Wind und Wetter. In anderen Seen hingegen wühlen zudem Muscheln und Schnecken den Seegrund um, aber am Boden des Vansees gibt es kein Leben.
“In den Bohrkernen sind die jährlichen Schichten daher ausgezeichnet sichtbar”, sagt Prof. Litt. Ähnlich wie Baumringe lassen sich an Sedimenten die Jahre abzählen: Jedes Jahr ist durch eine weiße Sommerschicht und eine dunkle Winterschicht im Sediment verewigt. Im Sommer verdunstet Seewasser, und weißer Kalk scheidet sich ab. Im Winter spült die Regenzeit dunkle Tonschichten in den See. All diese Mineralien sammeln sich auf dem Seegrund.
Anhand der gefundenen Pollen lässt sich auch das Klima rekonstruieren: Ist es warm und feucht, gedeihen viele Eichen am Ufer des Sees; in kalten und trockenen Zeiten eher Gräser, Beifuß und Gänsefuß. “Eine erste Pollenanalyse hat gezeigt, dass ein mehrfacher Wechsel zwischen Warm- und Kaltzeiten in den Sedimenten dokumentiert ist”, erläutert der Paläontologe. “Neben dem jetzigen erdgeschichtlichen Zeitabschnitt, dem Holozän, können wir drei weitere Warmzeiten ablesen. Das ist bisher einmalig in dieser Region.”
Bei der Bohrung stießen die Forscher zudem auf mehr als hundert Ablagerungen von vulkanischer Asche. Eine dieser Schichten war sogar über sieben Meter dick: “Da hat es also mächtig gerumpelt in der Vergangenheit”, sagt Prof. Litt. Auch Erdbeben haben die Gegend erschüttert, zeigen die Bohrkerne: An einigen Stellen sind die Sedimente dadurch gerissen und deformiert.
“In den untersten Sedimentschichten haben wir auch die Überbleibsel von Muscheln und Schnecken gefunden”, sagt Litt. Der jetzt stark alkalische und salzhaltige lebensfeindliche See war früher also mal ein Süßwassersee mit lebendigen Bewohnern.
“Neben der Rekonstruktion der Klimageschichte interessiert uns vor allem, wie die Vegetation auf den starken Vulkanismus der Region reagiert hat”, definiert Prof. Litt seine Forschungsziele. “Also die Frage: Wie schnell erholt sich die Pflanzenwelt nach einem Vulkanausbruch, der die ganze Landschaft mit einer dicken Ascheschicht eingedeckt hat?”
Der Blick in die Vergangenheit hilft dabei, die Zukunft besser einzuschätzen, sagt der Bonner Forscher: “Man kann zwar nicht die Zukunft voraussagen, aber man kann aus Szenarien in der Vergangenheit lernen. So können vergangene erdgeschichtliche Ereignisse beispielsweise dabei helfen, gewisse Risiken besser zu beurteilen.”
In den nächsten drei bis fünf Jahren wird das internationale Forscherteam die geborgenen Bohrkerne ganz genau im Labor untersuchen: “Wir haben bereits insgesamt 5000 Proben genommen, die alle analysiert werden wollen.” Die wissenschaftliche Arbeit beginnt also gerade erst.
Die eigentliche Bohrung hat 1,4 Millionen US-Dollar gekostet. Dabei kam aufgrund der sehr großen Wassertiefen von bis zu 360 Meter erstmals eine neue Spezial-Bohrtechnik zum Einsatz. Die Finanzierung stammte aus Mitteln des International Continental Scientific Drilling Program (ICDP), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Schweizer Nationalfonds. An den Arbeiten beteiligt sind neben der Universität Bonn auch das Schweizer Wasser-Forschungsinstitut Eawag, das Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR), die Technische Universität Istanbul, die Yüzüncü Yil Universität in Van und die Bohrfirma DOSECC Exploration Services. (Uni Bonn)
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