20. Januar 2011, Aktuelles, Uni Lübeck

Beurteilung von Operationsrisiken in der Herzchirurgie durch Bestimmung der cerebralen Sauerstoffsättigung

Operationsrisiken in der Herzchirurgie lassen sich mit der Bestimmung der cerebralen Sauerstoffsättigung schnell, einfach und – bei Patienten mit hohem Risiko – verlässlicher als mit den bisher üblichen Methoden vorhersagen. Dies geht aus einer Studie der Universitätskliniken für Anästhesie und Herzchirurgie in Lübeck hervor, die in der Januar-Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Anesthesiology“ veröffentlicht wurde*. Die Studie basiert auf der Auswertung der Behandlungsverläufe von 1.178 Herzoperationen am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck.

Die Bestimmung der cerebralen Sauerstoffsättigung (ScO2) mittels Nahinfrarotspektroskopie (NIRS) erlaubt nicht-invasiv eine Abschätzung des cerebralen Verhältnisses von Sauerstoffangebot und -bedarf. Seit 2007 wird das intraoperative Monitoring der ScO2 an der Klinik für Anästhesiologie auf dem Campus Lübeck routinemäßig zur Überwachung der zerebralen Perfusion im Rahmen herzchirurgischer Eingriffe eingesetzt.

Vor dem Hintergrund der Beobachtung, dass herzchirurgische Patienten mit einer niedrigen präoperativen ScO2 oft schlechtere klinische Behandlungsergebnisse zeigten und im Wissen darum, dass die gegenwärtig zur präoperativen Risikostratifizierung herzchirurgischer Patienten eingesetzten Instrumente wie z.B. der Euroscore relevante Limitationen aufweisen, wurde in einer groß angelegten prospektiven Observationsstudie als gemeinschaftlichem Projekt der Lübecker Universitätskliniken für Anästhesie sowie Herz- und thorakale Gefäßchirurgie untersucht, ob die präoperative ScO2 durch die kardiopulmonale Funktion beeinflusst wird und ob die Bestimmung dieses Parameters eine verbesserte Risikostratifizierung im Vergleich zum Euroscore ermöglicht.

Primäre Fragestellung waren dabei der Zusammenhang zwischen präoperativer ScO2 und der 30-Tage Mortalität; als sekundäre Endpunkte wurden die Einjahres-Mortalität und die anhand eines Komplikationsscores und einer verlängerten Verweildauer im Intensiv- und Intermediate Care Bereich ermittelte Morbidität betrachtet. Neben Analysen der gesamten Kohorte wurde eine Subgruppenanalyse der Hochrisikopatienten (Euroscore > 10) vorgenommen.

Von den Patienten, die 2008 in der Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie operiert wurden, konnten 1.178 in die Studie eingeschlossen werden. Am Vorabend der Operation (bzw. bei Notfallpatienten unmittelbar präoperativ) wurde die ScO2 ohne und mit zusätzlicher Sauerstoffgabe gemessen. Parallel wurden pulsoxymetrisch die arterielle Sauerstoffsättigung (SaO2) bestimmt sowie Vitalparameter, demographische Daten, Risikofaktoren, Blutwerte und die aktuelle Medikation erhoben. Der intra- und postoperative Verlauf wurde anhand der Qualitätssicherungsdatei der Klinik für Herzchirurgie erfasst.

Alle Variablen wurden hinsichtlich ihrer univariaten Assoziation mit den Endpunkten untersucht. Ferner wurden Korrelationen der signifikant mit der 30-Tage Mortalität assoziierten Variablen mit der ScO2 berechnet und die Diskriminierungsfähigkeit mittels Receiver-operating-curve (ROC)-Analysen analysiert. Mittels logistischer Regressionsanalysen wurden unabhängige Risikoprädiktoren der 30-Tage Mortalität herausgearbeitet. Schließlich wurde die Überlebenswahrscheinlichkeit bis ein Jahr nach der Operation in Kaplan-Meier-Kurven dargestellt.

Die Ergebnisse lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass die postoperative Mortalität und Morbidität mit ähnlichen Studien vergleichbar war und geringer als durch die Vorhersage des Euroscores zu erwarten. Bei den Hochrisikopatienten war die Risikoüberschätzung durch den Euroscore am stärksten. Die ScO2 korrelierte eng mit dem Patientenalter sowie Parametern der Herzkreislauf- und Nierenfunktion. Geringe ScO2-Werte (≤ 50%) waren signifikant mit einem schlechterem Behandlungsergebnis assoziiert und ein unabhängiger Risikofaktor für die 30-Tage Mortalität. In der Gesamtpopulation war die ScO2 der Diskriminierungsfähigkeit des Euroscores zwar unterlegen, in der Hochrisikogruppe war die ScO2 jedoch signifikant besser geeignet das operative Risiko vorherzusagen als der Euroscore.

Diese Ergebnisse zeigen, dass die ScO2 einen Surrogatparameter der kardiopulmonalen Funktion darstellt und dass die Bestimmung der präoperativen ScO2 geeignet ist, das perioperative Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko herzchirurgischer Patienten abzubilden. Die Beobachtungen in der Hochrisikogruppe legen darüber hinaus eine besondere Relevanz der ScO2 für die Prognose von Hochrisikopatienten nahe. Aufgrund der relativ geringen Fallzahl in dieser Gruppe müssen die letztgenannten Ergebnisse jedoch mit Vorbehalt betrachtet werden und bedürfen prospektiver Validierung in einer größeren Studienpopulation. (Uni Lübeck)



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