Studie: “Das Dilemma der unternehmerischen Universität”
Ein Dilemma bezeichnet laut Lexikon eine Situation, die zwei Wahlmöglichkeiten bietet, welche beide zu einem unerwünschten Resultat führen. „Auch die deutschen Universitäten befinden sich in einer solch misslichen Lage, zumindest wenn es darum geht, sich als Wirtschaftsunternehmen aufzustellen“, schlussfolgert Prof. Dr. Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena aus seiner aktuellen Studie, die jetzt in Buchform vorliegt.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Matthias Neis untersuchte er im Zuge der Studie „Das Dilemma der unternehmerischen Universität“ sogenannte Start-Up-Unternehmen, die sich aus den Universitäten Chemnitz, Dortmund und Halle-Wittenberg ausgegründet haben. Anhand dieser Firmen könne man sehr gut Rückschlüsse auf das wirtschaftliche Wirken von Universitäten ziehen.
Ausgangspunkt war dabei die Frage, ob und wie Universitäten solche Innovationsprozesse fördern oder behindern. „Zunächst haben wir festgestellt, dass für Universitäten diese Ausgründungen kein primäres Ziel sind“, erklärt der Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena. „Sie sind nicht unwichtig, aber auch nicht entscheidend.“
Die zweite wichtige Schlussfolgerung offenbart das Dilemma der Universitäten. „Solche Ausgründungsprozesse lassen sich von oben nicht steuern“, sagt der Jenaer Soziologe. „Denn die Gründer sind meist Studierende oder wissenschaftliche Mitarbeiter, die nicht zur Professorenschaft, sondern zum sogenannten Mittelbau der Universität gehören. Sie nutzen die universitäre Infrastruktur, um etwa Teams und Netzwerke zu bilden und sich kreative Freiräume zu eigen zu machen.“ Protegiert werden sie dabei oft von Professoren, die das kreative und unternehmerische Potenzial erkennen und Absolventen unter Umständen eine Doktorandenstelle vermitteln, auch wenn sie wissen, dass dabei nie eine Promotion entstehen wird – aber dafür vielleicht ein Unternehmen.
Doch diese Freiräume sind in Gefahr. „Der Übergang zur unternehmerischen – also auf Wirtschaftlichkeit ausgerichteten – Universität erzeugt eine Wettbewerbssituation, die für Innovationen existenziell notwendige Freiräume gefährdet“, erklärt Dörre. „Das zieht sich inzwischen durch alle Ebenen des universitären Betriebs.“ So müssen Professoren heutzutage forschen, Forschungsprojekte organisieren, Drittmittel einwerben und natürlich innovativ in der Lehre sein – sie sind Manager. Doktoranden kommen mitunter nicht zum promovieren, weil sie Lehrveranstaltungen abhalten und Projekte entwickeln müssen. „Und selbst die Studenten haben wegen der engen Strukturen des Credit-Point-Systems kaum noch Zeit, Ideen zu entwickeln und zu verfolgen“, sagt der Soziologe der Universität Jena. Die unternehmerische Universität erreiche also genau das Gegenteil von dem, was sie erreichen will.
Um dem entgegenzuwirken, sehen die beiden Jenaer Wissenschaftler nur eine Lösung: „Die Arbeits- und Studienbedingungen müssen verbessert – das heißt also an diese ökonomische Ausrichtung angepasst – werden“, sagt Dörre. „Kreative Freiräume müssen in den universitären Prozessen berücksichtigt werden.“ Aufgabenteilung spiele dabei eine entscheidende Rolle. Beispielsweise sollten Professoren, die ein Projekt einwerben, teilweise von der Lehre entbunden werden. Gleichzeitig sollten aber auch Professoren, die sich auf die Lehre spezialisieren, vom Drittmitteldruck befreit werden. So existieren Wahlmöglichkeiten und nicht nur ein Dilemma.
Bibliographische Angaben: Klaus Dörre / Matthias Neis: Das Dilemma der unternehmerischen Universität. Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, Berlin 2010. 178 Seiten, Preis: 14,90 Euro, ISBN 978-3-8360-8716-2. (Uni Jena)
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