12. November 2012, Uni Bonn

Wie ehrlich sind die Deutschen

In einem Verhaltensexperiment logen Probanden aus Deutschland weit weniger zu ihrem Vorteil, als Wissenschaftler zuvor vermutet hatten – nämlich gar nicht. Das haben Forscher der Universitäten Bonn und Oxford um Prof. Dr. Armin Falk herausgefunden. Beim Münzwurf konnten die Teilnehmer durch Schummeln leicht Geld verdienen, doch die Testpersonen blieben ehrlich. Die Studie ist nun in der „Discussion Paper Series“ des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) erschienen.

Es gibt viele Situationen im Leben, in denen sich Schummeln anbietet, um einen Vorteil zu erlangen – etwa, wenn man bei der Steuererklärung ein niedrigeres Einkommen angibt als zutrifft oder wenn man dem Chef vorgaukelt, das ganze Wochenende durchgearbeitet zu haben. „In allen Weltreligionen und Moralsystemen hat Ehrlichkeit einen sehr hohen Stellenwert“, sagt Prof. Dr. Armin Falk, Direktor der Abteilung für empirische Wirtschaftsforschung der Universität Bonn und Programmdirektor am Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA). So verbietet etwa im Christentum das „Achte Gebot“ zu lügen. „Ökonomen gehen jedoch davon aus, dass Menschen zur Lüge neigen, wenn es sich lohnt“, fügt Prof. Falk hinzu.

Beim Münzwurf gab es für die „Zahl“ 15 Euro
Wie weit das Lügen in Deutschland tatsächlich verbreitet ist, untersuchten die Wissenschaftler mit einem einfachen Experiment. Das Sozial- und Marktforschungsinstitut infas in Bonn befragte 700 zufällig ausgewählte Personen in Deutschland am Telefon. Die Aufgabe: Die Probanden sollten eine Münze werfen. Wer angab, „Zahl“ geworfen zu haben, bekam 15 Euro. Wer „Kopf“ warf, bekam nichts. „Damit war die Verführung schon sehr groß, in der Umfrage einfach `Zahl´ anzugeben, da niemand am Telefon nachprüfen konnte, ob dies tatsächlich zutraf“, berichtet Erstautor Dr. Johannes Abeler von der Universität Oxford, der zusammen mit Prof. Falk das Experiment durchführte.

Die Forscher konnten jedoch indirekt feststellen, wie viele der Testpersonen gelogen hatten. „Die Chance, Kopf oder Zahl zu werfen, ist genau gleich groß – 50 : 50“, erläutert Prof. Falks Mitarbeiterin und Mitautorin Anke Becker. Das Ergebnis war überraschend: Nur 44,4 Prozent der Befragten gaben an, „Zahl“ geworfen und damit Anrecht auf die 15 Euro zu haben. 55,6 Prozent sagten „Kopf“ und gingen damit leer aus. Die Wissenschaftler boten in einer weiteren Untersuchung die Möglichkeit, nur ein bisschen zu schummeln: Die Probanden sollten insgesamt vier Mal eine Münze werfen, wodurch nur „teilweise“ gelogen werden konnte. Doch auch diesmal gaben weniger als 50 Prozent der Befragten an, eine Zahl geworfen zu haben und damit einen Gewinn von diesmal fünf Euro zu bekommen.

„Damit beriefen sich sogar deutlich weniger Probanden darauf, Zahl geworfen zu haben als statistisch vorgegeben“, sagt Dr. Abeler, der an der Universität Bonn promoviert hat. Vorangegangene Studien in Laborumgebungen hatten hingegen gezeigt, dass etwa 75 Prozent der Befragten angaben, „Zahl“ geworfen zu haben. „Offenbar ist Lügen situationsbedingt“, schließt Prof. Falk aus den Ergebnissen. Die Probanden wurden zuhause in ihrer privaten Umgebung befragt. „In diesem geschützten Raum soll wahrscheinlich das Selbstbild der `ehrlichen Haut´ nicht unnütz zerstört werden.“ Im geschäftlichen Bereich könne dies jedoch ganz anders aussehen, ergänzt der Ökonom: „Wer zum Beispiel im Beruf lügt, kann sich unter Umständen damit trösten, dass er das für seinen Arbeitgeber macht.“

Die Ergebnisse haben aus Sicht der Forscher absehbar weit reichende Konsequenzen für Wissenschaft und Geschäftsleben. „In Verhaltensexperimenten wurde bislang sehr stark darauf geachtet, Anreize für wahrheitsgemäße Auskünfte zu schaffen – das scheint in diesem Ausmaß nicht erforderlich zu sein“, sagt Dr. Abeler. Und mit Blick auf die Staatsfinanzen: Wenn ein nicht zu anonymes Umfeld gewählt und an das Selbstwertgefühl appelliert werde, könne vielleicht sogar die Steuerehrlichkeit gefördert werden.

Publikation: Truth-Telling: A Representative Assessment, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, IZA DP No. 6919 (Uni Bonn)



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