Nina Birkner – Dissertation über Künstlerdramen
Literatur über Künstlerdramen ist rar. Bislang gibt es nur wenige Arbeiten auf diesem Gebiet, etwa die von Uwe Japp, der vor einigen Jahren „Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart“ untersuchte. Mit ihrer jüngst im Tübinger Max Niemeyer Verlag erschienenen Dissertation steuert Nina Birkner von der Friedrich-Schiller-Universität Jena nun eine eigene Monographie zum Thema bei.
„Vom Genius zum Medienästheten“ überschrieben, setzt sich die Juniorprofessorin für Theaterwissenschaft im Forschungszentrum „Laboratorium Aufklärung“ darin mit Modellen des Künstlerdramas im 20. Jahrhundert auseinander. Damit legt Prof. Birkner – sie studierte Schauspiel-Dramaturgie und Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der LMU München und der Bayerischen Theaterakademie August Everding – eine theater- wie literaturwissenschaftlich relevante Arbeit vor.
Anders als Japp hat sie ihre Untersuchung nicht chronologisch-historisch gegliedert. Vielmehr analysiert sie ausgewählte Theatertexte werkbezogen und aus feldtheoretischer Perspektive. Das heißt, sie fragt nach den Kunstauffassungen und nach den Positionierungsstrategien der jeweiligen, ausschließlich deutschsprachigen Autoren, können deren Bühnenstücke doch als distinktive Stellungnahmen im kulturellen Feld ihrer Zeit gelesen werden. Neben der exemplarischen Analyse einzelner Werke, in denen „produzierende“ Künstler – etwa Dichter, Komponisten, Maler – im Mittelpunkt stehen, verstehe sich die Arbeit auch als typologische Untersuchung, erläutert Prof. Birkner. Denn die Protagonisten der Stücke repräsentieren „verschiedene Künstlertypen mit spezifischen Eigenschaften“. Da die ausgewählten Werke aus verschiedenen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts stammen, gibt die Monographie zugleich einen Überblick über die Entwicklung der Gattung des Künstlerdramas – das erste prominente überhaupt war einst Goethes „Torquato Tasso“ – im 20. Jahrhundert.
Nach intensiver Lektüre quer durch die Künstlerdramen von 1900 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts macht die Autorin fünf verschiedene Künstlertypen aus. Da sind die verkannten Künstler, die gern erfolgreich sein wollen, aber scheitern. Beispielhaft dafür steht Gerhart Hauptmanns Arnold Kramer aus „Michael Kramer“ (1900). Nach Birkners Worten ist das Drama zugleich als Versuch des als Naturalist anerkannten Hauptmanns zu lesen, sich als Dichtergenie in der Nachfolge Goethes zu etablieren. Wie die verkannten, so fänden sich auch die „verfemten“ Künstler vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Analog Bertolt Brechts „Baal“ (1918) handele es sich dabei um Künstler, die anerkannt sind, aber auf eine Künstlerkarriere verzichten. Als „naive“ Künstler charakterisiert sie Dilettanten ohne jede Kompetenz, die trotzdem gefeiert werden, so wie ihn Wolfgang Bauer mit Blasius Okopenko in „Change“ (1969) auf die Bühne bringt. Wie die „naiven“ betreten auch die „gerissenen“ Künstler erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Szene. Sie wissen ganz genau, wie der Kunst- und Kulturbetrieb funktioniert und nutzen die Mechanismen der Medien, um sich als Künstler einen Namen zu machen, so auch die Protagonisten in Falk Richters „Gott ist ein DJ“ (1998). Für diese Künstler stünden nicht mehr ihre Werke, sondern ihre Durchsetzungsstrategien im Zentrum, macht die Expertin deutlich. Und dann sind da noch die „kanonisierten“ Künstler, die – wie jener in Thomas Bernhards Komödie „Über allen Gipfeln ist Ruh“ (1981) – schon zu Lebzeiten als Klassiker gefeiert und trotzdem Gefahr laufen, vergessen zu werden. Sie kämpfen, so Prof. Birkner, „entweder gegen das Veralten ihrer Werke an oder sie lassen sich von den Inhabern der kulturellen und politischen Macht vereinnahmen“.
Jedem dieser Typen widmet die Autorin ein eigenes Kapitel. Aber der Leser findet nicht nur die exemplarischen Einzelanalysen der Theatertexte, sondern auch die sehr aufschlussreiche Untersuchung der zentralen Motive im Drama um den jeweiligen Künstlertypus. Dabei wird deutlich, dass die Künstlerfiguren niemals Sprachrohre ihrer Autoren sind. Wichtig auch die Erkenntnis von dem sich Ende der 1960er Jahre verändernden Künstlerbild. „Der Geniegedanke verliert in der zweiten Jahrhunderthälfte an Relevanz und damit interessiert der verkannte, tragisch scheiternde Künstler nicht mehr als Mittelpunkt dramatischer Handlungen“, erläutert die junge Jenaer Wissenschaftlerin. Sie verweist zudem darauf, dass die zentralen Motive im Drama um den jeweiligen Künstlertypus nicht auf die Künstlernovelle oder den -roman übertragen werden können. „Aus dramaturgischer Perspektive ist das damit zu erklären, dass im Künstlerdrama meist eine schöpferische Figur gezeigt wird, die sich mit den Mechanismen des Kunst- und Kulturbetriebes auseinandersetzt.“ Im Unterschied dazu würden Künstlernovelle und -roman vielfach komplexe seelische Vorgänge oder existenzielle innere Konflikte des Künstlers thematisieren.
Bibliografische Angaben:
Nina Birkner: Vom Genius zum Medienästheten – Modelle des Künstlerdramas im 20. Jahrhundert, Max Niemeyer Verlag Tübingen 2009, 308 Seiten, Broschur 79,95 Euro, ISBN 978-3-484-18192-2; ISSN 0081-7236. (Uni Jena)
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