Zeckenforschung an der Uni Hohenheim
Mit jährlich 100 bis 150 FSME-Erkrankungen liegt Baden-Württemberg bundesweit an der Spitze aller Bundesländer. Zwei Drittel der betroffenen Erwachsenen und die Hälfte der betroffenen Kinder erkranken so schwer, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Das zeigt die amtliche Statistik, die auf einer Pressekonferenz der Universität Hohenheim vorgestellt wurde. Ebenfalls präsentiert: Ergebnisse einer Langzeitstudie über Krankheitsverläufe, das Präventionsprogramm „zeckenwetter.de“, an dem sich die Universität beteiligt, und neue Forschungsergebnisse, wie sich Zecken als FSME-Überträger mit Pilzen, Fadenwürmern und Schlupfwespen biologisch bekämpfen lassen.
Die Gefahr in einem der Risikogebiete in Baden-Württemberg nach einem Zeckenstich an FSME zu erkranken, liege bei etwa 1 zu 150. Die Hälfte der Patienten erlebe einen schweren Krankheitsverlauf. Rund 70% von ihnen erlitten langwierige Folgeschäden, so die Aussagen von Prof. Dr. Reinhard Kaiser, der die Neurologie an der Städtischen Klinik Pforzheim als Chefarzt leitet.
Besonders schwer betroffen seien Patienten, bei denen neben dem Gehirn auch das Rückenmark betroffen sei. In einer Langzeitstudie über 10 Jahre seien nur rund 20% wieder vollständig genesen. „Die Hälfte der Patienten litten auch zehn Jahre nach der Infektion an Lähmungen, Atemschwäche, Gleichgewichtsstörungen oder Schluck- und Sprechstörungen“, so Prof. Dr. Kaiser. 30% der Studienteilnehmer seien binnen zehn Jahren an der Krankheit gestorben.
Dem Gegenüber seien Impfprobleme heute praktisch vernachlässigbar, versichert der Neurologe: „Mit 1,5 Fällen pro 1 Million Impfungen sind Impfkomplikationen extrem selten.“ Trotz steigender Impfbereitschaft weise die Landesbevölkerung noch eine vergleichsweise niedrige Impfquote auf, die beispielsweise unter der von Bayern liege, obwohl dort das Krankheitsrisiko geringer sei als in Baden-Württemberg, erklärte Dr. Isolde Piechotowski vom Landesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren.
Durchschnittlich seien in Baden-Württemberg nur 28% gegen FSME geimpft (Bayern: 32,2%), zitiert Dr. Piechotowski eine Untersuchung aus dem Jahr 2009. In Hochrisikogebieten wie dem Nordschwarzwald und der westlichen Schwäbische Alb liegen die Impfquoten bei 60%. Dabei sei der Impfschutz bei Kindern bis 16 Jahren mit 37% besser als unter den Erwachsenen mit ca. 26%.
Dass Impfraten gerade von Kindern in den vergangenen Jahren ständig anstiegen wurde von. Rudolf von Butler, niedergelassener Kinderarzt aus Esslingen und Vorsitzender der Initiative PädNet besonders begrüßt. Gleichzeitig gibt er Familien den besonderen Rat: Eltern gleich mitimpfen lassen.
Der Grund: In der Regel verlaufe die Krankheit bei Erwachsenen wesentlich schwerwiegender, als im Kindesalter. Impfungen seien ab dem Alter von 3 Jahren möglich, in Hochrisikogebieten, speziell dem Schwarzwald, werden Impfungen schon für einjährige Kinder empfohlen.
Nach einem Ausflug in die Natur oder ins Grüne sollten alle Teilnehmer außerdem gründlich abgesucht und die Kleidung gewechselt werden. Wenn eine Zecke schon gebissen hat, diese vorsichtig mit einer spitzen Pinzette oder einem ähnlichen Gegenstand langsam durch Zug entfernen und anschließend die Wunde desinfizieren. „Drehen bringt nichts, auch von einem Abtöten der Zecke mit Öl oder Klebstoff ist abzuraten, da die Zecke beim Ersticken noch mehr Erreger – wie FSME-Viren und Borellien – unter die Haut entlassen kann“, erklärte Dr. von Butler.
Wie aktiv die Zecken am heutigen Tag und vor der eigenen Haustür sind, kann die Bevölkerung seit rund einem Jahr auf der Homepage des Präventionsprogramms „zeckenwetter.de“ abrufen. Dabei handelt es sich um ein wissenschaftliches Projekt der Firma tickradar, an dem sich die Universität Hohenheim beteiligt.
„Dazu lassen wir unsere Expertise in eine von sechs deutschen Zeckenstationen im Siebenmühlental bei Stuttgart einfließen“, erklärt Prof. Dr. Johannes Steidle, vom Lehrstuhl für. Tierökologie an der Universität Hohenheim.
Dazu beobachten die Wissenschaftler mehrfach die Woche, wie aktiv sich die Zecken in der Beobachtungsstation verhalten. „Da Zecken sehr empflindlich auf Temperatur und Feuchte reagieren, lässt sich anhand von sehr regionalen Wetterprognosen vorhersagen, ob Zecken in einem bestimmten Landkreis die nächsten Tage besonders aktiv oder die Gefahr, gebissen zu werden, eher gering ist“, so Prof. Dr. Steidle. Daneben gebe die Seite konkrete Tipps, wie man sich gegen Zeckenbisse schützen könne.
In mehreren Forschungsprojekten erproben die Biologen der Universität Hohenheim außerdem, wie sich Zecken anhand natürlicher Feinde biologisch bekämpfen lassen.
„Dabei setzen wir auf Arten, die hier in Europa natürlich vorkommen. Dazu gehören bestimmte Pilze, Fadenwürmer oder die Zeckenerzwespe, die ihre Eier in lebende Zecken bohrt, so dass diese nach dem Schlüpfen von Innen aufgefressen werden“, erläutert Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Fg. Parasitologie an der Universität Hohenheim.
Im Labor seien die Versuche bereits erfolgreich gewesen. Derzeit liefen die ersten Freilandversuche an, bei denen auch die Auswirkungen auf andere Bodenorganismen untersucht werden.
Weiteren Forschungsbedarf sieht Prof. Dr. Mackenstedt bei Füchsen, die dem FSME-Erreger als Reservoirwirt dienen. „Bei einer ersten Studie im Regierungsbezirk Freiburg fanden wir bei 32 von 146 Füchsen Hinweise, dass sie dem FSME-Erreger als Reservoirwirt gedient hatten. Diese Untersuchungen müssen ausgedehnt werden, um einschätzen zu können, wie stark die Bedeutung der Füchse für die Krankheitsverbreitung tatsächlich ist.“
Eine Entwarnung gibt Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg gegenüber Ängsten, der FSME-Erreger könnte so stark mutieren, dass Impfstoffe wirkungslos würden.
„Ob Viren leicht mutieren hängt davon ab, wie ihr Erbgut aufgebaut ist“, erklärte der Biologe auf der Pressekonferenz. „Extrembeispiel sind die Grippeviren wie Influenza A, bei der völlig neue Subtypen auftreten können“.
FSME-Viren gehörten allerdings zu einer Virenart, bei der Veränderungen im Erbgut nur geringe Auswirkungen haben. „In einer ersten Überblicksstudie haben wir in Baden-Württemberg bisher fünf unterschiedliche Stämme des FSME-Erregers entdeckt, die alle zum gleichen europäischen Subtyp gehören.“ Als Krankheitserreger mögen diese Stämme ein unterschiedlich starkes Gefährdungspotential für den Körper haben. „Allen Stämmen aller Subtypen in Europa ist jedoch gemeinsam, dass der Körper durch die gängige Impfung wirksam gegen sie geschützt werden kann. (uni Hohenheim)
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