24. November 2009, Aktuelles, Uni Frankfurt

Frankfurter Poetik-Vorlesungen erstmalig auf dem Campus Westend

Gehören Dichter in die Universität? In den Gründungsjahren der Frankfurter Stiftungsgastdozentur für Poetik wurden grundsätzliche Fragen dieser Art zuweilen noch gestellt. Heute hat sich das zunächst einzigartige Frankfurter Experiment fest etabliert und die Einrichtung einer Poetikdozentur als fruchtbare Melange aus Dichterlesung, akademischem Vortrag und autobiografischem Bericht hat von Graz bis Paderborn, von Mainz bis Leipzig eine Vielzahl an Nachahmern gefunden.

Das unter dem Namen ‚Frankfurter Poetik-Vorlesungen’ bekannt gewordene Original feiert im Herbst 2009 bereits das 50. Jahr seines Bestehens und lädt deshalb zu einem Festprogramm ein, dessen Höhepunkt der Vortrag des Dichters, Essayisten und Übersetzers Durs Grünbein am 1. Dezember (Dienstag) um 18.15 Uhr im Audimax des neuen Hörsaalzentrums auf dem Campus Westend der Goethe-Universität bildet. In seiner Poetikvorlesung mit dem Titel ‚Vom Stellenwert der Worte’ wird Grünbein – 50 Jahre nach Ingeborg Bachmanns ‚Fragen zeitgenössischer Dichtung’ im Wintersemester 1959/1960 – Auskunft über sein literarisches Selbstverständnis geben und anhand der eigenen künstlerischen Produktion die Grundlagen und Prinzipien dichterischen Schreibens erörtern. Die Stiftungsgastdozentur für Poetik richtet sich an Hörer aller Fachbereiche sowie an das literarisch interessierte Publikum aus Frankfurt und Umgebung; der Eintritt ist frei.

Am 2. Dezember (Mittwoch) eröffnet die Frankfurter Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg um 17 Uhr die Begleitausstellung ‚Fragen zeitgenössischer Dichtung – 50 Jahre Frankfurter Poetik-Vorlesungen’, die bis zum 29. Januar 2010 in der B-Ebene der Bibliothek zu sehen sein wird. Die von Wolfgang Schopf (Archiv der Peter Suhrkamp-Stiftung) und Volker Michel (Universitätsbibliothek) erarbeitete Ausstellung verfolgt ein doppeltes Ziel: Zum einem stellt sie die Entwicklung der Stiftungsgastdozentur von ihren Anfängen bis in die Gegenwart dar, zum anderen fasst sie die Aktivitäten der Bibliothek zusammen, die zu zahlreichen Ausstellungen und Begleitpublikationen führten. Die Ausstellung nimmt mit vielerlei Dokumenten die Spuren auf, die auf dem Frankfurter Poetik-Lehrstuhl hinterlassen wurden. Sie zeigen die Goethe-Universität als einen der lebendigsten Orte der Literaturgeschichte im deutschsprachigen Raum.
Den Auftakt der Festwoche zum 50-jährigen Jubiläum der Frankfurter Poetikdozentur bildet die Matinee ‚Ach, Poetik!’, die am 29. November (Sonntag) um 11 Uhr im Sendesaal des Hessischen Rundfunks stattfindet. Hier diskutieren Hans Magnus Enzensberger und Durs Grünbein über das dichterische Handwerk und das Wechselspiel zwischen Literatur, Gesellschaft und Wissenschaft. Es moderiert Ruth Fühner von hr2-kultur. Karten können zum Preis von 8 Euro (ermäßigt: 6,50 Euro) im hr-Ticketcenter erworben werden. Die Sendung wird am 6. Dezember (Sonntag) um 12.05 Uhr in hr2-kultur ausgestrahlt.

In seiner Lesung ‚Strophen für übermorgen’ wird Durs Grünbein schließlich 2. Dezember (Mittwoch) um 20 Uhr im Literaturhaus Frankfurt an der Schönen Aussicht ältere Stücke und neuen, teils noch unveröffentlichte Arbeiten vorstellen. Der Eintritt beträgt 6 Euro (3,50 für Mitglieder, nach Voranmeldung freier Einlass für Studierende).
Mit der Entscheidung für Grünbein würdigt das Komitee der Stiftungsgastdozentur das Werk eines herausragenden Vertreters einer deutschsprachigen Lyriker-Generation, dessen Gegenwartsanalysen die Prämissen des Wissens, Denkens und Schreibens mit reflektieren und sich mit einer handwerklich virtuosen, geradezu klassizistischen Dichtkunst verbinden. Grünbein wurde am 9. Oktober 1962 in Dresden geboren und lebt seit 1986 – nach kurzzeitigem Studium an der Humboldt-Universität – als Dichter, Essayist und Übersetzer in Berlin. Bekannt wurde er 1989 und 1990 mit den Gedichtbänden ‚Grauzone morgens’ und ‚Schädelbasislektion’. Der Büchner-Preisträger des Jahres 1995 wird seitdem über die nationalen Grenzen hinaus wahrgenommen und gewürdigt. So erhielt Grünbein zuletzt den Pasolini-Preis der Stadt Rom (2006) und den deutsch-polnischen Samuel-Bogumil-Linde-Preis (2009). Grünbeins jüngste Publikation ist die Essay-Sammlung ‚Die Bars von Atlantis’ (2009).

Die Frankfurter Poetik-Vorlesungen wurden 1959 vom S. Fischer Verlag in Form einer Stiftungsgastdozentur eingerichtet. Seit 1963 werden sie vom Suhrkamp Verlag, später von der Peter Suhrkamp Stiftung, sowie der Vereinigung von Freunden und Förderern der Goethe-Universität getragen. Seitdem konnte die Stiftungsgastdozentur für Poetik mit Ausnahme der Unterbrechung zwischen 1968 und 1979 in nahezu jedem Semester eine Veranstaltung anbieten und avancierte auf diese Weise zu einem wichtigen Bestandteil im literarischen Leben Frankfurts. Nach Ingeborg Bachmann im Herbst 1959 erhielten unter anderem Heinrich Böll, Günter Grass und Christa Wolf die Gelegenheit, sich in einem fünfteiligen Vorlesungsreihe über eine selbstgestellte Frage zur zeitgenössischen Literatur theoretisch darstellend zu äußern. Zuletzt hat der Schriftsteller Uwe Timm im Sommersemester 2009 in seinem Zyklus ‚Von Anfang und Ende’ die Grundlagen und Prinzipien dichterischen Schreibens erörtert und dabei Einblicke in sein eigenes kreatives Schaffen gewährt. (Uni Frankfurt)



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