22. November 2011, Uni Hohenheim

Bewertung klimabedingter Landnutzungs-Änderungen an deutschen Küsten

Steigende Meeresspiegel, häufigere Sturmfluten und größere Niederschlagsvariabilität: Die Bewohner entlang der Nord- und Ostseeküste werden durch den Klimawandel auf vielfältige Weise bedroht. Unterschiedliche Strategien, um sich auf diese Änderungen einzustellen und den Betroffenen zu helfen, werden derzeit erforscht. Einen Großteil der Kosten solcher Maßnahmen trägt der Steuerzahler. Doch wenn Ebbe in der Kasse ist, muss das Geld ganz besonders sinnvoll ausgegeben werden. Die Hohenheimer Umweltökonomen Prof. Dr. Michael Ahlheim und Dr. Oliver Frör wollen deshalb herausfinden, was den Küstenbewohnern die verschiedenen Anpassungsszenarien wert sind. Das Bundesforschungsministerium finanziert die Untersuchung, bei der es vor allem um die Erforschung geeigneter Bewertungsverfahren geht, mit rund 150.000 Euro – und macht sie damit zu einem Schwergewicht der Forschung an der Universität Hohenheim.

Die Deiche müssen erhöht, die Polder vergrößert werden. Ob die Flächen unterhalb des Meeresspiegels dann aber zu Wasserspeichern für Dürresommer oder zu Moorgebieten werden sollen, ist noch nicht entschieden.

Was nun kommen soll, ist wie so oft auch eine Geldfrage. Lohnt es sich, öffentliche Gelder in diese Maßnahmen zu investieren? Wie viel sind den Küstenbewohnern die verschiedenen Anpassungsstrategien wert, die die Wissenschaft derzeit diskutiert? Das sind Fragen, die sich die beiden Hohenheimer Umweltökonomen Prof. Dr. Michael Ahlheim und Dr. Oliver Frör stellen. Am Ende kann man Kosten und Nutzen der verschiedenen Maßnahmen miteinander vergleichen.

Wasser oder Torf?
Doch bis dahin ist es ein langer Weg: „Zunächst starten wir mit Expertenbefragungen und Tiefeninterviews mit Bürgern in den betroffenen Regionen, danach folgt die Hauptbefragung, die aus Kostengründen als Briefsurvey durchgeführt wird “, sagt Prof. Dr. Ahlheim. „In den Fragebögen erklären wir den Befragten zunächst, was mit ihrer Heimat passiert, wenn wir nicht auf den Klimawandel reagieren. Anschließend stellen wir ihnen beispielhaft zwei alternative Szenarien vor, die zeigen, wie man auf den steigenden Meeresspiegel reagieren kann.“

Diese sind:
1. Die bestehenden Polder hinter den Deichen werden vergrößert und als Süßwasserspeicher genutzt. Schon heute fangen die Polder das Wasser von Flüssen auf, deren Unterläufe unter dem Meeresspiegel liegen. Bei Ebbe öffnen sich die Schleusentore, um das aufgestaute Flusswasser ins Meer abzulassen. In Zukunft könnten diese Rückhaltebecken das Wasser in den regenreichen Wintermonaten sammeln, damit es in den trockenen, heißen Sommern beispielsweise für Bewässerungszwecke nutzbar ist.

2. Die Polder werden zu ausgedehnten Mooren umfunktioniert. Die würden CO2 speichern und damit zum Klimaschutz beitragen. Die Landwirte könnten darin außerdem Schilf kultivieren – was dann als Rohstoff für Bioenergie verwendet werden könnte.

Am Ende jedes Szenarios steht die Frage: „Wie viel wären Sie bereit, persönlich zur Realisierung des beschriebenen Szenarios beizutragen?“ Eine realistische Zahl zu erhalten, sei aber gar nicht so einfach, sagt Prof. Dr. Ahlheim.

„Zum einen ist es für die Befragten alles andere als einfach, sich die beschriebenen Szenarien samt ihrer Bedeutung für die betroffenen Menschen in allen Details vorzustellen und daraus ihre persönliche Zahlungsbereitschaft abzuleiten“, erklärt der Ökonom.

Zum andern gebe es eine Reihe strategischer, psychologischer und situationsbedingter Gründe, warum manche Befragte letztlich bewusst eine falsche Zahlungsbereitschaft angeben. Ein Beispiel: „Manche Menschen machen in Fragebögen bewusst falsche Angaben, weil sie damit eine später möglicherweise zu leistende Zahlung vermindern oder das Ergebnis durch Übertreibung ihrer Zahlungsbereitschaft zum Positiven hin beeinflussen wollen.“ Sogar das Design und die Formulierung des beigefügten Anschreibens können das Ergebnis beeinflussen.

Hinzu kämen die üblichen Repräsentativitätsprobleme bei Briefbefragungen.

Ein Hauptanliegen der Untersuchung ist es deshalb, Strategien zu entwickeln, die solche methodenbedingten Verzerrungen vermeiden oder zumindest vermindern. „Dadurch wollen wir die Validität der verwendeten Bewertungsmethoden – Contingent Valuation Methode (CVM) und Choice Experiments (CE) – beziehungsweise der mit ihnen hergeleiteten Messergebnisse verbessern“, so Prof. Dr. Ahlheim.

Dazu planen die Forscher Feldexperimente mit mehreren verschiedenen Fragebogenversionen. Der Ansatz macht einen Rücklauf von insgesamt 1.500 bis 2.000 ausgefüllten Fragebögen erforderlich.

Der mit beiden Methoden ermittelte „gesellschaftliche Nutzen” eines Landnutzungsszenarios kann dann mit den Kosten verglichen werden, die bei seiner Verwirklichung anfallen. „So lässt sich seine gesellschaftliche Rentabilität bestimmen und damit eine rationale Verwendung öffentlicher Gelder im Umweltbereich sicherstellen.“

Hintergrund: Forschungsprojekt COMTESS
Die Berechnungen der beiden Hohenheimer Umweltökonomen sind nur ein kleiner Teil des großangelegten Forschungsprojektes COMTESS (Sustainable Coastal Land Management: Trade-offs in Ecosystem Services), das die Anpassung des deutschen Küstenschutzes an den Klimawandel beleuchten soll. Das Forschungsvorhaben ist auf drei Jahre angelegt. Das Bundesforschungsministerium fördert die CVM-Berechnungen an der Universität Hohenheim mit rund 150.000 Euro.

Hintergrund: Schwergewichte der Forschung
Fast 31 Mio. Euro an Drittmitteln akquirierten Forscher der Universität Hohenheim im vergangenen Jahr. In loser Folge präsentiert die Reihe „Schwergewichte der Forschung“ herausragende Forschungsprojekte mit einem Drittmittelvolumen von mindestens einer viertel Million Euro bzw. 125.000 Euro in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. (Uni Hohenheim)



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