1. Dezember 2010, Uni Jena

Workshop "Die Aktualität der Romantik"

Das moderne Individuum muss sich in einem prekären Gefüge zurechtfinden, das der Soziologe Ulrich Beck als „Risikogesellschaft“ beschreibt. Dafür hätten Ludwig Tieck, August Wilhelm und Friedrich Schlegel oder Novalis bereits Ende des 18. Jahrhunderts ein Gespür besessen, sagt Prof. Dr. Klaus Vieweg von der Universität Jena. Mit diesen Protagonisten der Jenaer Romantik, aber auch mit Johann Gottlieb Fichte, ihrem philosophischen Vater, und mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der die romantischen Gedanken produktiv-kritisch aufnahm, beschäftigt sich ein interdisziplinäres und transkulturelles Kooperationsprojekt der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Monash-University Melbourne. Um „Die Aktualität der Romantik“ ist es den australischen und deutschen Philosophen und Literaturwissenschaftlern auch im gleichnamigen Workshop zu tun, der am 9. Dezember 2010 ab 9 Uhr im Senatssaal der Universität Jena (Fürstengraben 1) abgehalten wird.

Organisatoren sind Prof. Dr. Klaus Vieweg vom Institut für Philosophie und Junior-Professorin Dr. Yvonne Förster, die in Jena promoviert wurde, mittlerweile aber an der Leuphana-Universität Lüneburg tätig ist. Beide gehören gemeinsam mit den Jenaer Wissenschaftlern Dr. Ralf Beuthan und Claudia Wirsing sowie ihren australischen Mitstreitern Prof. Dr. Franz-Josef Deiters und Prof. Dr. Andrew Benjamin zu den Initiatoren des seit 2008 vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderten Projekts.

Unter den Referenten des Workshops finden sich Literaturwissenschaftler und Philosophen aus beiden Nationen. Das Programm ist zu finden unter: www.ifp.uni-jena.de/.

Doch worin besteht sie nun eigentlich, jene Aktualität der Romantik? Wie Prof. Vieweg und Dr. Förster erklären, prägten die Romantiker spezielle, miteinander vernetzte Schlüsselbegriffe der Natur, der Autonomie der Kunst, der Arbeit und Produktivität sowie der Bildung. Allerdings seien diese für die Moderne so wegweisenden Konzepte in die Krise geraten, wie die Jenaer Philosophen am Beispiel der Arbeit veranschaulichen. Definierte sich das Individuum vormals über die traditionell mit dem Begriff der Produktivität verknüpfte Arbeit, entkoppeln sich beide Begriffe mehr und mehr, steht die bezahlte Erwerbsarbeit an sich zur Disposition. Für den Einzelnen stellt sich die Frage, worüber er sich stattdessen definieren kann. Taugen produktivitätsfreie Tätigkeiten wie das Erziehen oder die gemeinnützige Arbeit zur Identitätsstiftung? Daraus resultiere im Duktus romantischer Vernetzung die Überlegung, welche Konsequenzen sich für die Bildung ergeben.

Widmen sich die Philosophen vor allem den Schlüsselbegriffen der Romantik, befragen die Literaturwissenschaftler diese auf ihren literarischen Darstellungsaspekt. „Friedrich Schlegel“, sagt Vieweg, „sprach von Transzendentalpoesie, also von der Vereinigung von Philosophie und Literatur.“ Es gehe nicht zuletzt darum, in welchem Medium Erkenntnis dargestellt werde, ergänzt Förster. Eine Erzählung sei ihrem Wesen nach dominant literarisch, ein Traktat philosophisch. Im Fragment oder Essay etwa finden Philosophie und Literatur – ganz im Sinn der auf Universalität und Interdisziplinarität ausgelegten Romantik – zusammen.

Weil das Romantik-Projekt ebenso wie die Romantik selbst im Zeichen von Vernetzung steht, kooperiert es mit dem an der Uni Jena ansässigen Vorhaben „Bildung zur Freiheit. Zeitdiagnose und Theorie im Anschluss an Hegel“. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Forschergruppe – mit Mitwirkenden aus der Soziologie, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Kultur und Bildung sowie Philosophie.

Wenn im kommenden Jahr die DAAD-Förderung auslaufen wird, wollen die Wissenschaftler weiterhin innerhalb eines internationalen Netzwerkes mit Partnern zusammenarbeiten (u. a. aus den USA, Japan, Italien, Großbritannien). Einen Vorgeschmack darauf bieten zwei große Tagungen im kommenden Jahr, im März in Melbourne und im Herbst die Abschlusstagung in Florenz, wo die Monash-Universität eine Dependance hat. Die Zukunft steht im Zeichen der Vorfreude – auf einen „internationalen Romantik-Export“. (Uni Jena)



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