13. Juli 2010, Aktuelles, Uni Hohenheim

Dr. Markus Voeth zu den WM-Zielen der Wirtschaft

Prof. Dr. Markus Voeth, Marketing-Experte und Leiter der WM-Studie der Universität Hohenheim zur Bedeutung der diesjährigen WM für Marketing und Werbung

Herr Professor Voeth, Sie haben die Wirtschaft bereits vor dem Anpfiff vor zu hochgesteckten Erwartungen gewarnt. Sehen Sie sich nach dem Schlusspfiff bestätigt?

Prof. Dr. Voeth: Auf sportlichem Gebiet hat die deutsche Nationalmannschaft eine tolle WM gespielt. Nach meiner Einschätzung sind dagegen die deutschen Unternehmen in wirtschaftlicher Hinsicht weit hinter den Erwartungen zurück geblieben.

Der Fehler vieler Unternehmen war, dass sie glaubten, das deutsche Sommermärchen von 2006 mit ähnlichen oder gleichen Konzepten einfach noch einmal wiederholen – oder gar übertreffen zu können.

So war das Angebot an Fahnen und anderen Fan-Utensilien bei dieser WM noch einmal sehr viel größer als vor vier Jahren. Nun bemerken wir aber, dass die Regale trotz des sportlichen Erfolgs der deutschen Nationalmannschaft zum Teil beim Finale vielfach noch voll waren. Hieran ändert auch nichts, dass einige Medienberichte Gegenteiliges vermelden.

Das ist unternehmerisches Risiko.

Prof. Dr. Voeth: Ein Risiko, das sich jedoch einschränken ließe, wenn die Unternehmen nicht auf alte Konzepte setzen, sondern ihr WM-Marketing gezielter planen würden. Bei uns am Lehrstuhl führen wir seit vielen Jahren die regelmäßig aktualisierte WM-Studie durch, die deutlich zeigte, dass die Kunden 2010 weniger Flagge zeigen würden. Zudem waren sie teilweise noch von der WM 2006 ausgestattet. Es gab also viele Indikatoren, die nahelegten, dass 2010 nicht wie 2006 ablaufen würde.

So gaben etwa nur 40 % der von uns in diesem Jahr im Rahmen der WM-Studie Befragten an, überhaupt Fanartikel kaufen zu wollen. Das WM-Trikot beabsichtigen dabei ca. 25 % der Befragten zu kaufen, eine Fahne für das Auto wollten 22 % und eine große Deutschlandfahne 18 % erwerben.

Ähnlich verhalten war der WM-Tourismus. 98 % der Befragten hatten schon im Vorfeld angegeben, wegen der hohen Kosten nicht nach Südafrika reisen zu wollen. Angesichts der Entfernung und der begrenzten Flugkontingente kam es auch während der WM kaum zu Spontan-Tourismus.

Dafür liefen Public Viewing samt Gastronomie besser, als Sie vorhersagten

Prof. Dr. Voeth: Stimmt. Nach Auswertung unserer Umfragen hatten wir eigentlich mit einer Sofa-WM gerechnet: Laut Befragung hatten 90 % der Teilnehmer angegeben, die WM zu Hause vor dem Fernseher verfolgen zu wollen. Rückblickend haben jedoch deutlich mehr Menschen Public Viewings aufgesucht – was einerseits wohl am guten Wetter und andererseits am sehr guten Abschneiden der deutschen Nationalmannschaft lag.

Die guten Rahmenbedingungen haben dann auch einigen wenigen Branchen wie Brauereien ein gutes Geschäft beschert. Auch für die TV-Geräte-Hersteller lief es letztlich nicht schlecht. Bei diesen dürfte es sich aber Großteils allein um vorgezogenen Konsum handeln.

Gibt es Unternehmen, denen Sie generell von Marketing mit WM-Bezug abraten würden?

Prof. Dr. Voeth:
Definitiv. Unsere Studie hatte zwar ergeben, dass die Deutschen WM-bezogener Werbung grundsätzlich positiv gegenüber stehen. Sie zeigte aber auch, dass das beworbene Produkt auch einen Fußballbezug aufweisen sollte. Bei Sportartikeln oder Tourismus bietet sich Werbung mit WM-Bezug an. Bei Finanzdienstleistungen oder Mineralöl – auch das zeigt die Studie – jedoch nicht.

Trotzdem haben in diesem Jahr fast noch mehr Firmen als bei der WM 2006 auf das Thema Fußball gesetzt. Dadurch konnte sich kaum ein Unternehmen wirklich mit diesem Thema im Markt positionieren. Im Gegenteil: Da sich der Kunde in den vergangenen Wochen durch WM-Werbung allzu stark bombardiert gesehen hat, verpuffte die Wirkung. Zum Teil löste sie sogar Kundenverärgerung aus.

Ihre generelle Empfehlung für das nächste Großereignis?

Prof. Dr. Voeth: Bei sportlichen Großereignissen wie einer Fußball-WM sollten Marketing-Verantwortliche nicht weiter mehr oder weniger undifferenziert das Thema in Marketing und Werbung aufzugreifen. Stattdessen sollten die Unternehmen im Vorfeld sehr genau prüfen, ob und in welcher Form es sich lohnt, das Thema anzugehen. Klar ist auf jeden Fall nach dieser WM: das olympische Motto „Dabei sein ist alles“ gilt für WM-Werbung und -Marketing nicht.

Hintergrund: WM-Studie der Universität Hohenheim

In einer groß angelegten Langzeitstudie zur FIFA Fußball-WM 2006 hat der Lehrstuhl für Marketing I von Prof. Dr. Voeth seit 2001 unter anderem die Begeisterung, Präferenzen und Vorstellungen der Bevölkerung für die WM ermittelt. Dabei wurden in jährlich wechselnden Sonderschwerpunkten Themen wie die WM als Chance für Städte und Regionen, Vermarktungspotenziale, Sicherheit, Ticket-Pricing, Merchandising und Standortwahl der Stadien untersucht. Die Studie diente einerseits als Stimmungsindikator, andererseits auch als konstruktiver Beitrag für eine erfolgreiche Organisation. In diesem Jahr wurde die Studie fortgesetzt, um unter anderem die Unterschiede zwischen der WM 2006 und der WM 2010 überprüfen zu können. (Uni Hohenheim)



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