Fleischwaren ohne Chemie frisch und haltbar machen
Es ist ein ganzes Arsenal, mit dem sich Pflanzen gegen Angriffe von Bakterien verteidigen können. Nun sollen diese Abwehrstoffe helfen, auch Wurst- und Fleischwaren ganz ohne Chemie frisch und haltbar zu machen, so der Ansatz eines jungen Forschungsprojektes der Lebensmittelwissenschaft an der Universität Hohenheim. Der einfache Gedanke besitzt im Detail jedoch viele Herausforderungen. Das Bundeswirtschaftsministerium und Wirtschaftsunternehmen unterstützt die Arbeit 2 1/2 Jahre lang mit über 300.000 Euro – und macht sie damit zu einem der Schwergewichte der Forschung der Universität Hohenheim.
Noch ist Nitritpökelsalz bei Fleisch- und Wurstwaren das Mittel der Wahl. Der Zusatzstoff mit der Vierfachwirkung verhindert die Ranzigkeit bei Salami, hemmt pathogene Bakterien in Fleischwurst und verleiht der Lyoner die klassisch rosa-rötliche Farbe und das typische Pökelaroma.
Doch die Stickstoff-Verbindung hat einen schlechten Ruf. Viele Menschen wollen auf den Zusatzstoff Nitritpökelsalz verzichten bzw. den Zusatz stark reduzieren. Andere fürchten die ungeliebten Nitrosamine, die beim Erhitzen entstehen können, da viele dieser Verbindungen als möglicherweise krebserregend eingestuft werden.
Fleisch soll von Pflanzen lernen
Alternativen finden die Lebensmittelwissenschaftler um Prof. Dr. Jochen Weiss von der Universität Hohenheim jetzt bei den Pflanzen. Denn diese besitzen ein ganzes Arsenal eigener Stoffe, um Angriffe von Bakterien abzuwehren.
Besonders martialisch zeigen sich viele Gewürze. Nelkenöl besitzt Bestandteile, die die äußere Hülle von Bakterien durchlöchern. Rosmarin legt die Energieproduktion der Angreifer lahm. Salze der Milch- oder Essigsäure wandern ins Innere der Bakterien, verändern das Säuregleichgewicht und richten sie dadurch zu Grunde. „Insgesamt dürfte es mehr als 1.400 Pflanzen mit derartigen Wirkstoffen geben“, schätzt Prof. Dr. Weiss.
Der Ansatz „Pflanze hilft Fleisch“ ist bestechend. Doch die Herausforderungen schlummern im Detail. Denn es sind zwei Eigenschaften der Pflanzenstoffe, die den Forschern zu schaffen machen.
Pflanzenöle zum Beispiel reichern sich automatisch in den Fettbestandteilen der Wurstwaren an. Doch dort sind die wenigsten Bakterien zu finden.
Einige der Wirkstoffe sind auch leicht flüchtig. Sie könnten sich daher schnell verflüchtigen, so dass Fleisch- und Wurstwaren mit der Zeit ihren Schutz verlieren.
Außerdem bleibt der Eigengeschmack der Pflanzenstoffe: „Keiner möchte eine Ginseng-Lyoner essen, zumindest nicht in Deutschland“, so eine recht nachvollziehbare Prognose von Prof. Dr. Weiss.
Mikrokapseln und Wirkstoffkombinationen
Ein Lösungsansatz sind mikroskopisch kleine Mikrokapseln, in die die Forscher die Wirkstoffe verpacken. So können sie sie gezielt im Lebensmittel platzieren. Dort lösen sich die Kapseln mit der Zeit auf und geben die Pflanzenstoffe über längere Zeit Schritt für Schritt frei.
Eine weitere Idee ist, verschiedene Wirkstoffe zu kombinieren. Dann könnte jeder Stoff für sich unter der Geschmacksschwelle bleiben. In Kombination würden sie jedoch besser wirken, da sie Bakterien auf verschiedene Weise angreifen.
Von Grundlagenforschung bis Praxistest
Die komplexe Materie macht auch die Teilbereiche der Forschung komplex. Dabei stoßen die Forscher bis in die Grundlagenforschung vor, wenn sie die molekularen Eigenschaften des Stoffes untersuchen, mit denen diese den Bakterien zu Leibe rücken. Ein zweiter Teilbereich untersucht die Eigenschaften der Lebensmittel. Beides zusammen hilft, Techniken zu entwickeln, wie die Pflanzenstoffe in richtiger Menge an richtiger Stelle in Lebensmittel eingearbeitet werden können.
„Unser Ziel ist es, ein Set von zehn bis fünfzehn Systemen, bei denen verschiedene Kombinationen gezielt Schimmel, Hefe oder Bakterien angreifen, zu entwickeln“, so Prof. Dr. Weiß. Manche davon könnten verkapselt werden. Andere sind wasserlöslich oder reichern sich selbstständtig an Grenzflächen an. Im universitätseigenen Technikum wollen sie die Systeme an drei Modellprodukten testen: Hackfleisch, Brühwurst und Schinken.
Bekenntnis zum natürlichen Reinstoff
Bei ihren Entwicklungen setzen die Forscher ausschließlich auf natürliche Stoffe. „Viele davon könnten auch künstlich hergestellt werden“, meint Prof. Dr. Weiss. Und nennt ein Beispiel: „Statt Kümmel-Essenz könnten wir auch synthetisches Carvacrol verwenden. Das wäre zwar billiger, aber vom Konsumenten nicht gewünscht.“
Bei Verbrauchern stünden die Naturstoffe eindeutig höher im Kurs. Bei der Lebensmittelindustrie ebenfalls. Denn synthetische Wirkstoffe müssten auf der Verpackung extra deklariert werden. (Uni Hohenheim)
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