Individualisierte Therapien bei Leukämie-Erkrankungen
Leukämie ist, wie andere Krebsarten auch, eine Folge von Mutationen bestimmter Gene. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Diagnose Blutkrebs ein sicheres Todesurteil. Dass heute viele Leukämiekranke geheilt werden können, ist unter anderem der genauen Kenntnis der zugrunde liegenden Gendefekte zu verdanken, aus denen sich eine individualisierte Therapie ableiten lässt. Am „Diagnostikzentrum für Akute Leukämie“ der Goethe-Universität sind in den vergangenen fünf Jahren 30 neue Krebsgene entdeckt worden. Seit Herbst 2009 müssen alle europäischen Studiengruppen die Behandlung ihrer Leukämiepatienten mit Hilfe der in Frankfurt entwickelten Gensonden engmaschig überwachen lassen. In der aktuellen Ausgabe von „Forschung Frankfurt“ berichten der Grundlagenforscher Prof. Rolf Marschalek und der Kliniker Prof. Hubert Serve über den Stand der Forschung.
Während man bei soliden Tumoren davon ausgeht, dass rund 20 Ereignisse notwendig sind, um aus einer normalen Zelle eine Tumorzelle zu machen, ist dies bei Leukämien wahrscheinlich ganz anders: hier reichen wenige Mutationen aus, um eine leukämische Zelle zu erhalten. Ein bevorzugter Mutationsmechanismus bei den Leukämien ist die „chromosomale Translokation“. Dabei brechen zwei Chromosomen auseinander und setzen ihre losen Enden überkreuz wieder zusammen, so dass jedes Chromosom ein Stück des anderen erhält.
Da bei verschiedenen Leukämiepatienten immer wieder die gleichen chromosomalen Translokationen beobachtet wurden, glauben viele Wissenschaftler, aus der Analyse dieser Fusionsgene lernen zu können, wie Leukämien entstehen und sie dann auch behandeln zu können. In den letzten 20 Jahren sind daher rund 400 verschiedene Translokationen analysiert worden. Die Arbeitsgruppe von Prof. Rolf Marschalek am Institut für Pharmazeutische Biologie arbeitet vor allem an MLL-Translokationen, die alle mit akuter Leukämie assoziiert sind. Eine dieser Translokation, bei der ein Stück zwischen Chromosom 4 und Chromosom 11 ausgetauscht wird, ist besonders aggressiv. Sie tritt bei 70 bis 80 Prozent aller Kleinkinder mit einer Akuten Lymphatischen Leukämie (ALL) auf.
Neben der Grundlagenforschung zu dieser speziellen Leukämieform leitet Prof. Rolf Marschalek zusammmen mit Prof. Theo Dingermann und Prof. Thomas Klingebiel auch das Diagnostikzentrum „Diagnostikzentrum für Akute Leukämie“ (DCAL). Hier werden bis zu 100 verschiedene MLL-Translokationen, aber auch andere Genfusionen identifiziert und charakterisiert. Das ist nicht nur für die Ursachenforschung von Bedeutung, sondern hat auch einen praktischen Nutzen: die hier etablierten Gensonden werden für die Verlaufskontrolle einer Therapie an Leukämiepatienten benutzt. Im DCAL werden unter der Leitung von Prof. Rolf Marschalek jedes Jahr circa 300 Leukämiefälle aus ganz Europa befundet. Der Blick auf den Anknüpfungspunkt der Fusionsgene liefert eine Patienten-spezifische DNA-Sequenz, die einen molekularen Fingerabdruck darstellt. Über diesen Fingerabdruck lassen sich kleinste Mengen an Tumorzellen im Patienten nachweisen, selbst wenn auf 150 000 normale Zellen nur noch eine entartete Zelle kommt. Alle europäischen Studiengruppen überwachen deshalb die Behandlung ihrer Leukämiepatienten mithilfe der von Marschalek generierten Gensonden. Dadurch kann das unerwünschte Wiederauftreten des Tumors rechtzeitig erkannt und die Behandlung entsprechend angepasst oder optimiert werden. Das hilft das Überleben solcher schwer erkrankten Patienten weiter zu optimieren.
Zu den ermutigenden Beispielen für eine erfolgreiche Therapie gehört die Gabe von Imatinib bei der Chronischen Myeloischen Leukämie (CML). Auch hier ist ein pathologisches Fusionsgen die Ursache. Wird dieses abgelesen, wirkt die entstehende Kinase als unkontrollierter Teilungsstimulator der leukämischen Zellen. Imatinib hemmt die Aktivität des Gens. Die Verbindung, die als Tablette eingenommen werden kann, hilft heute über 95 Prozent der Patienten, mit CML über lange Jahre krankheits- und symptomfrei zu leben. Frankfurter Wissenschaftler waren weltweit führend daran beteiligt zu zeigen, dass nicht nur CML-Patienten, sondern auch Patienten mit einem bestimmten Typ der Akuten Lymphatischen Leukämie von Imatinib profitieren.
Am Zentrum der Inneren Medizin untersuchen die Forscher um Prof. Hubert Serve als Koordinatoren des bundesweiten Forschungsverbunds „Onkogene Netzwerke in der Pathogenese der AML“ die Signalübertragung in leukämischen Vorläuferzellen des Knochenmarks. Schon seit den frühen 1990er Jahren, also lange vor dem Mut machenden „Proof of concept“ von Imatinib, versuchten sie, die Akute Myeloische Leukämie (AML) mit Kinase-Inhibitoren zu behandeln. Sie gehörten zu den Ersten, die zu dieser Zeit erkannten, dass Kinase-Mutationen in der AML häufig und für den Verlauf der Krankheit von Bedeutung sind. Gegen die Kinasen, die bei der AML aktiv sind, ist Imatinib leider unwirksam. Daher suchen die Forscher nach anderen Wirkstoffen und interessanten Zielmolekülen. Mehrere Inhibitoren werden bereits in klinischen Studien geprüft, einige unter Leitung der Goethe-Universität. „Ich bin zuversichtlich, dass in Zukunft auch die AML mit kleinen Molekülen und einer Kombination aus Chemotherapie und Knochenmarktransplantation viel häufiger geheilt werden kann, als das bisher der Fall ist“, urteilt Prof. Serve.
Der Schwerpunkt für Lymphom- und Leukämieforschung profitiert besonders von der engen Zusammenarbeit zwischen Medizinern und Naturwissenschaftlern im Loewe-Schwerpunktprojekt „Onkogene Signaltransduktion Frankfurt“ (Projektträger Land Hessen). Die gemeinsame Forschung an hämatologischen und soliden Tumoren soll die Suche nach neuen krebsauslösenden Prinzipien in den Tumorzellen vereinfachen und spezifische Tumortherapien schneller in die Klinik bringen. Für eine schnelle Umsetzung steht auch das „Universitäre Centrum für Tumorerkrankungen Frankfurt (UCT)“, in dem sich die Krebsforscher und klinischen Onkologen des Universitätsklinikums zusammengeschlossen haben, um gemeinsam Krebs- und Leukämie-Patienten die optimale Therapie anbieten zu können. Das UCT wurde von der Deutschen Krebshilfe in einerm Wettbewerb als eines von 10 deutschen Zentren als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgewählt und wird von ihr in seinem Anliegen großzügig unterstützt.
Neben der Förderung der patientenorientierten Krebsforschung soll das Zentrum alle vor Ort vorhandenen Expertisen bündeln, einschließlich der in den Krankenhäusern und Praxen der Region vorhandenen. Ziel ist es, dass alle Einrichtungen nach den gleichen Behandlungsleitlinien und mit der gleichen Qualitätssicherung arbeiten. Das sicher ehrgeizigste Projekt ist ein regionales klinisches Krebsregister, mit dessen Hilfe Behandlungsstrategien optimiert werden sollen. Mit der Förderung des UCT hat die Universität bereits ein Gütesiegel von hoher Sichtbarkeit erhalten. Nun sollen aus diesen gebündelten Aktivitäten neue Forschungsverbünde initiiert werden. Frankfurt macht sich daran, eine Hochburg für die Krebsforschung und -therapie zu werden. (Uni Frankfurt)
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