13. Dezember 2012, Uni Gießen

“Spiegel der Forschung” Heft 2-2012 erschienen

Die neue Ausgabe des Wissenschaftsmagazins der Justus-Liebig-Universität Gießen, der „Spiegel der Forschung“ Heft 2-2012, ist jetzt erschienen. Schwerpunktthema ist aus Anlass der Jubiläumsjahre 2012/2013 „Georg Büchner und seine Zeit“. Politik- und Literaturwissen­schaftler widmen sich dem Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. Ein Artikel aus der Didaktik der Geschichte zeigt exemplarisch, wie man sich mit der Zeit des „Vormärz“ im Ge­schichtsunterricht befassen kann. Beiträge aus der Physik und den Gesellschaftswissen­schaften vervollständigen dieses Heft.

Zum Auftakt berichten die Gießener Physiker Michael Düren und Hasko Stenzel unter dem Titel Das Higgs-Teilchen und der Rest der Welt von der langjährigen Suche nach dem Higgs-Teilchen, die im Sommer dieses Jahres am CERN in Genf endlich von Erfolg gekrönt war. Dort wurde das schwerste je beobachtete elementare Teilchen beobachtet, das 134mal so schwer wie das Proton ist. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um das lange gesuchte Higgs-Teilchen handelt, den letzten fehlenden Baustein im Standardmodell der Teilchenphysik. Die Arbeitsgruppe von Prof. Düren und Dr. Stenzel am II. Physikalischen Institut der Justus-Liebig-Universität ist als Mitglied der ATLAS-Kollaboration an den Messungen beteiligt.

Mit dem Schwerpunktthema „Georg Büchner und seine Zeit“ befassen sich insgesamt fünf Artikel: Wie die Bevölkerung in und um Gießen zwischen 1815 und 1848 lebte, schildert der Politikwissenschaftler Heinrich Brinkmann in seinem Artikel unter der Überschrift Zur wirt­schaftlichen und sozialen Lage im Vormärz. Oberhessen zählte in dieser Zeit zu den rück­ständigsten und ärmsten Gebieten in Deutschland. Nach der Bauernbefreiung im Jahr 1811 konnten viele Bauern sich die Selbstständigkeit finanziell gar nicht leisten, denn die bisher in Naturalien und körperlicher Arbeit erbrachten Leistungen für die Grundherren mussten nun abgelöst werden. So übergaben sie ihr Land häufig den Gutsherren und mussten sich als Tagelöhner verdingen. Wenn irgend möglich wanderte man nach Amerika aus.

Der Literaturwissenschaftler Günter Oesterle widmet sich sowohl dem Thema „Georg Büchner und seine Zeit“ als auch „Georg Büchner in seiner Zeit“, also der Lebenszeit Büchners (1813-1837) einerseits und seiner Wirkung über einen umfassenderen Zeitraum hinweg andererseits. Diese doppelte Perspektive versucht der Essay durchzuhalten: Er fragt zunächst, wie es möglich wurde, dass ein junger Mann, der mit nicht einmal 24 Jahren starb, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Wissenschaftler und Revolutionär eine so herausragende Rolle spielen konnte. Anschließend werden zwei avantgardistische Alternativen zu den von Büchner gewählten Dramenstoffen Danton und Woyzeck fiktiv vorgeführt: ein „Feuilleton“ über Danton und ein naturalistisches Drama über Woyzeck.

Ebenfalls mit dem literarischen Werk Büchners setzt sich der Literaturwissenschaftler Gerhard Kurz in seinem Artikel Der Freiheit eine Gasse –Spuren der „Gießener Schwarzen“ in Büchners „Dantons Tod“ auseinander. Die „Gießener Schwarzen“ waren eine Gruppe radikaler Studenten, deren revolutionäres Programm für die Ambivalenzen der deutschen Demokraten nach 1800 aufschlussreich ist. Georg Büchner setzte sich in seiner kritischen Vorführung der französischen Revolutionäre in seinem Drama „Dantons Tod“ auch mit ihnen auseinander.

Die „Gießener Auswanderergesellschaft“ im Vormärz war Thema eines Projektseminars in der Didaktik der Geschichte unter der Leitung von Rita Rohrbach: Bleiben oder Gehen? Diese Frage stellten sich die oppositionellen Akteure in der Zeit des Vormärz. Georg Büchner, Friedrich Ludwig Weidig, die Brüder Follen und Pastor Friedrich Münch waren durch viel­fältige Aktivitäten im Rahmen ihres Studiums an der „Vormärz-Universität Gießen“, ihrer revolutionären Ziele und auch durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden. Wie sie ihre freiheitlich-republikanischen Ideen umsetzen könnten, entweder in Deutschland oder aber durch Gründung eines eigenen Staates in Amerika, darin waren sie sich allerdings nicht einig. Büchner und Weidig blieben, während Paul Follen und Pfarrer Münch die „Gießener Auswanderergesellschaft“ gründeten und mit 500 Mitgliedern die Utopie in Amerika verwirk­lichen wollten. Dieses Thema wurde im Rahmen eines Projektseminars geschichtsdidaktisch aufgearbeitet.

Der Literaturwissenschaftler Rolf Haaser, der an der Universität Gießen das Oberhessische Literaturarchiv betreut, publiziert unter dem Titel Auf nach Amerika! die Erinnerungen des „Roten Becker“ in einer amerikanischen Zeitschrift. Die im amerikanischen Exil verfassten Erinnerungstexte des Büchner-Freundes August Becker sind als Hintergrundinformationen für die Entstehung des “Hessischen Landboten” nur wenig bekannt. Dr. Haaser möchte so aufmerksam machen auf die Bedeutung des „Roten Becker“ als Chronisten der Gießener Ereignisse zur Zeit Büchners.

Ergänzt wird der Schwerpunkt durch eine Liste der Veranstaltungen an der Universität Gie­ßen im Jahr 2013 aus Anlass des 200. Geburtstags von Georg Büchner, der an der damaligen Landesuniversität in den Jahren 1833/34 Medizin studierte, und durch verschiedene Zitate aus den Erinnerungen von Carl Vogt.

Das Jahr 2012 bietet noch weitere Jubiläuen: So wurde das Mathematikum, das erste ma­thematische Mitmach-Museum, zehn Jahre alt. Unter der Überschrift Kurz berichtet wird dem vielfach ausgezeichneten Initiator und Organisator Prof. Albrecht Beutelspacher gratuliert. Glückwünsche gab es außerdem auch für 50 Jahre Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Erheblich älter ist die Universitätsbibliothek: Unter dem Titel Was war und was wird befasst sich Claudia Martin-Konle in einem Rück- und Ausblick mit 400 Jahren Universitätsbibliothek Gießen. Im Jahr 1607 gründete Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt die Universität Gießen als neue Landesuniversität. Fünf Jahre später kaufte er 1000 Bände in Straßburg und legte damit den Grundstock für die Universitätsbibliothek.

Die Politikwissenschaftlerin Lucyna Darowska schildert außerdem in Ihrem Beitrag das Leben und die widerständige Praxis der Prager Journalistin Milena Jesenská gegen den Nationalsozialismus. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage: Wie ist Milena Jesenská zur Widerständlerin geworden? Lucyna Darowska erschließt neue Perspektiven interpretativer Biografieforschung innerhalb der politisch-historischen Widerstandsforschung zum Nationalsozialismus. Ausgehend vom New Historicism formuliert sie den Begriff der widerständigen Praxis neu und entwickelt Interpretationen widerständiger Handlungen der in literarischen Kreisen bekannten Prager Journalistin Milena Jesenská gegen das NS-Regime.

Die Soziologen Michaela Fink, Julia Erb und Reimer Gronemeyer erforschen die sozialen Folgen der AIDS-Waisen-Krise in Namibia und berichten über ihr Projekt zum Thema Soziale Krisen und soziale Kräfte, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert wird. Experten schätzen, dass gegenwärtig 15 Millionen Kinder und Jugendliche in Afrika einen Elternteil oder sogar beide Eltern durch die Immunschwäche AIDS verloren haben. Am Beispiel von Namibia wird der gesellschaftliche Umgang mit dieser Krise untersucht. Geleitet wird das Projekt von dem Soziologen und Theologen Prof. Reimer Gronemeyer. Er forscht bereits seit über vierzig Jahren in Afrika.

Die Politikwissenschaftlerin Karin Pieper befasst sich schließlich mit der Finanzierung der EU-Politiken von 2014-2020. Unter dem Titel Mehrwert Europa beleuchtet der Artikel aus politikwissenschaftlicher Sicht die Reichweite einer Finanzaufteilung, die einer innovativen und Wachstum fördernden sowie einer solidarischen Logik folgt. Mit Blick auf die andauernde Finanzkrise stellt diese Aufteilung ein „kniffliges Spiel“ dar. Exemplarisch werden der zweitgrößte Finanzposten, die EU-Strukturpolitik, und die ländliche Entwicklung als Teil der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie die Erweiterungspolitik betrachtet. Einerseits geht es dabei um die Umsetzung der Wachstumsprämisse und um den EU-weiten Solidaritätsgedanken, andererseits um das mögliche Festhalten an traditionellen Politiken wie der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP).

Der „Spiegel der Forschung“ liegt im Hauptgebäude der Universität (Ludwigstraße 23, 35390 Gießen) und in der Universitätsbibliothek aus oder kann bei der Pressestelle der Universität kostenlos bezogen werden. In den nächsten Tagen ist dieses Heft, wie alle Ausgaben des Forschungsmagazins der Justus-Liebeig-Universität Gießen, auch im Netz zu finden. (Uni Gießen)



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