Polnische Dramen in Deutschland zwischen 1945 und 1995
Zu zeigen, inwiefern polnische Dramen zwischen 1945 und 1995 im Osten auf andere Weise rezipiert worden sind als im Westen Deutschlands, darum ging es den Slawisten PD Dr. Christine Fischer und Prof. em. Dr. Ulrich Steltner im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts. Ihre Ergebnisse haben die Slawisten der Universität Jena kürzlich unter dem Titel „Polnische Dramen in Deutschland. Übersetzungen und Aufführungen als deutsch-deutsche Rezeptionsgeschichte“ veröffentlicht. Die Untersuchung versteht sich als ein Beitrag zur literaturbezogenen Kulturgeschichte.
Steltner und Fischer zeigen die Rezeption der Dramen anhand von Doppelübersetzungen und Theaterkritiken. Während sich Christine Fischer der Analyse der Texte widmete, beschäftigte sich Ulrich Steltner vor allem mit den Kontexten. Wie Fischer erklärt, seien zwischen Ost und West signifikante Unterschiede auszumachen. „Zu mehr als dreißig Stücken“, sagt sie, „gab es eine Fassung Ost und eine Fassung West.“ Das sei zum einen dem Individualstil des jeweiligen Übersetzers geschuldet und somit nicht zwingend politisch motiviert gewesen. Andererseits sei eine Tendenz auszumachen, nach der ostdeutsche Übersetzer wie Henryk Bereska näher am Originaltext geblieben seien. Entsprechend beibehalten wurden mit typisch polnischen Realien verbundene Ausdrücke (z. B. „Szlachta“ für „Adel“). „Man setzte voraus, dass das Publikum diese verstehen konnte“, sagt Fischer. Anders im Westen, wo Übersetzer wie Peter Lachmann oder Ilka Boll generell freier mit den Texten verfahren seien.
Zu den – sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands – bekanntesten polnischen Dramatikern zählen Witold Gombrowicz, Tadeusz Różewicz und Sławomir Mrożek. Gombrowicz, der Autor des Stücks „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, sei zwar insbesondere im Westen beliebt gewesen, dürfe aber nach der Wiedervereinigung auch gesamtdeutsch betrachtet als der meistaufgeführte polnische Autor gelten. Sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands gern aufgeführt wurden Mrożeks „Emigranten“. Auch an Różewicz waren – nicht zuletzt wegen seiner Nähe zur Groteske – die Theater in beiden deutschen Staaten interessiert.
„Man muss aber immer auch die unterschiedlichen Rezeptionsphasen in Betracht ziehen“, sagt Christine Fischer. Hierzu haben sie und Ulrich Steltner das in der Polonistik gängige, an signifikanten politischen Ereignissen und dem gesellschaftlichen Klima orientierte Dreiphasenmodell herangezogen. Es geht von einer ersten Phase zwischen 1945/49 und 1956/57, von einer zweiten zwischen 1956 und 1970 sowie einer dritten zwischen 1970 und 1989 aus. Das Erkenntnisinteresse bestand nicht zuletzt darin, wer in einem bestimmten Zeitraum wahrgenommen wurde – und warum.
„In der ersten Rezeptionsphase sind polnische Dramen im Westen noch gar nicht so beachtet worden“, sagt Christine Fischer. Im Osten seien vor allem Leon Kruczkowskis „Sonnenbrucks“ aufgeführt worden, in denen eine deutsche Familie während der NS-Zeit dargestellt wird. Es sei dies ein sozialistisch angehauchtes Stück gewesen, über dessen Qualität bis heute diskutiert werde. Auch im Westen kam Kruczkowski auf die Bühne – allerdings in der zweiten Rezeptionsphase, insbesondere mit „Der erste Tag der Freiheit“, das sich weniger als Agit-Prop-Text vereinnahmen ließ. Es lasse sich also eine gewisse zeitliche Verzögerung der Rezeption im Westen ausmachen.
Als eine gesamtdeutsche Gemeinsamkeit konnten Steltner und Fischer die Differenz des sinnenfrohen polnischen Theaterstils zum traditionellen deutschen Sprechtheater erkennen. „Gerade zwischen 1970 und 1989 wurden Gastspiele von Polen gut angenommen“, weiß Fischer. Die Kritiken fielen überwiegend positiv aus. Womöglich fühlten sich deutsche Theaterbesucher gerade durch die Authentizität des hierzulande eher fremden sinnenfrohen Moments angezogen.
Christine Fischer/Ulrich Steltner: Polnische Dramen in Deutschland. Übersetzungen und Aufführungen als deutsch-deutsche Rezeptionsgeschichte 1945-1995, Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien 2011, 297 Seiten, Preis: 39,90 Euro, ISBN 978-3-412-20669-7 (Uni Jena)
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