Einblicke in die Spitzenforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen
Eine Sonderausgabe des „Spiegels der Forschung“ unter dem Titel „Einblicke in die Spitzenforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen“ ist kürzlich erschienen. Darin stellen sich die großen Verbundprojekte Gießener Wissenschaftler aus der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder sowie dem hessischen Exzellenzprogramm LOEWE (Landesoffensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) und die Transregio-Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Stand: Dezember 2010) in für die Allgemeinheit verständlicher Form vor.
Die elektronische Version des Sonderheftes „Einblicke in die Spitzenforschung an der Justus-Liebig-Universität Gießen“ steht im Netz bereits unter www.uni-giessen.de/spiegel-der-forschung. Die Print-Ausgabe liegt in Kürze im Hauptgebäude der Universität (Ludwigstraße 23) und in den nächsten Tagen am Informationsschalter der Universitätsbibliothek (Otto-Behaghel-Straße aus oder ist bei der Pressestelle der Universität (pressestelle@uni-giessen.de) kostenlos erhältlich.
Zum Auftakt heißt es im Bereich der Kulturwissenschaften „Promovieren mit System“. Ansgar Nünning und Martin Zierold berichten über die erfolgreiche Arbeit des International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC), das schon in der ersten Runde der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder als eines von nur zwei geistes- und kulturwissenschaftlichen Projekten erfolgreich war. Das GCSC bietet ein innovativ strukturiertes Doktorandenstudium in den kulturwissenschaftlichen Fächern an und verfügt auch inhaltlich über ein attraktives und zukunftsweisendes Forschungsprofil. Das Konzept des GCSC basiert auf den Erfahrungen, die man an der Justus-Liebig-Universität im Rahmen des Gießener Graduiertenzentrums Kulturwissenschaften (GGK) bereits seit 2001 gesammelt hat.
Henning Lobin, Sabine Heymann, Jana Klawitter und Regine Leitenstern, Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI), befassen sich mit dem Thema „Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter“. Der LOEWE-Schwerpunkt „Kulturtechniken und ihre Medialisierung“ untersucht kommunikative Kulturtechniken im medialen Wandel. Technologische Innovationen wie Computer und Internet verändern inzwischen zahlreiche Lebensbereiche. Lesen und Schreiben sind als grundlegende kommunikative Kulturtechniken diesem Wandel ebenfalls unterworfen. Der LOEWE-Schwerpunkt „Kulturtechniken und ihre Medialisierung“ untersucht, wie sich kommunikative Kulturtechniken durch Computer und Internet verändern, wie sich diese Veränderungen in gesellschaftlicher Perspektive niederschlagen, und wie sie letztlich auf die Entwicklung neuer Darstellungsformen zurückwirken.
Die Medizin nimmt einen breiten Raum in dieser Sonderausgabe des „Spiegels der Forschung“ ein. Unter der Überschrift „The blood passes through the substance of the lung“ stellt Sylvia Weißmann, Innere Medizin/Pneumologie, Spitzenforschung für neue und verbesserte Therapien für Herz-Lungen-Erkrankungen vor. „Das Blut passiert das Lungengewebe“, so lautet der Titel eines Kapitels in der 1628 veröffentlichten Schrift von William Harvey (1578-1657), in der er zum ersten Mal die Funktion des Blutkreislaufs und dessen Teilung in Lungen- und Körperkreislauf beschreibt. In dieser Schrift („Of the motion of the heart and blood in animals“) weist er bereits darauf hin, dass die Funktionen von Herz und Lunge auf das engste miteinander verbunden sind. Das Exzellenzcluster „Cardiopulmonary System“ (ECCPS), das im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder gefördert wird, hat sich die Erforschung dieses engen Zusammenspiels von Herz und Lunge im Hinblick auf gemeinsame und unterschiedliche Krankheitsmechanismen und Möglichkeiten zur Behandlung zum Ziel gesetzt.
Außerdem stellt Sylvia Weißmann unter dem Titel „Mit langem Atem“ Lungenforschung am LOEWE-Zentrum „Universities of Giessen and Marburg Lung Center“ vor. Im Rahmen des Hessischen Landesprogramms LOEWE wird seit Anfang 2010 ein weiteres Netzwerk zur Erforschung von Lungenkrankheiten drei Jahre lang gefördert. Im Dezember 2009 wurde das LOEWE-Zentrum „Universities of Giessen and Marburg Lung Center“ (UGMLC) bei der Vorstellung von hessischen „Leuchtturm-Projekten“ im Bereich Forschung bereits in der Hessischen Landesvertretung in Berlin vorgestellt.
Susanne Herold und Jürgen Lohmeyer, Innere Medizin/Pneumologie, berichten über „Infektabwehr als Balanceakt“ und stellen neue Strategien zur Therapie von Lungeninfektionen vor. Die Lungenentzündung ist die häufigste Infektionserkrankung weltweit und auch in Deutschland eine Volkskrankheit von großer sozio-ökonomischer Relevanz. Mit Einführung der antibiotischen Therapie in den 40-er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat sich die Sterblichkeit der Pneumonie um etwa ein Fünftel reduzieren lassen. Seitdem hat es aber in der Behandlung der Pneumonie keinen substanziellen Fortschritt mehr gegeben. Selbst der durch Antibiotika erreichte Therapiestandard ist zunehmend durch die Resistenzentwicklung von Erregern und durch die stagnierende Antibiotika-Entwicklung bedroht. Vor diesem Hintergrund untersucht der neu eingerichtete Transregio-Sonderforschungsbereich die „Angeborene Immunität der Lunge. Mechanismen des Pathogen-Angriffs und der Wirtsverteidigung bei Pneumonie“.
Um „Werkstoffe für die Geweberegeneration im systemisch erkrankten Knochen“ geht es in dem Beitrag von Reinhard Schnettler, Christian Heiß, Volker Alt, Alexander C. Langheinrich, Jürgen Janek und Sabine Wenisch, die einen weiteren neuen Transregio-Sonderforschungsbereich in der Medizin vorstellen. Neue Knochenersatzmaterialien und Implantate, speziell angepasst an systemisch erkrankte Knochen, werden im Sonderforschungsbereich/Transregio 79 konzipiert. Repräsentativ hierfür stehen Patienten mit Osteoporose und Patienten, die im Verlauf von Tumorerkrankungen wie dem Multiplen Myelom Frakturen und knöcherne Defekte erleiden.
Mit dem Thema „Männliche Infertilität bei Infektion und Entzündung“ befassen sich im Rahmen des LOEWE-Schwerpunkts MIBIE Wolfgang Weidner und Hamid H. Hossain. Einer der Gründe für die vorhergesagte Abnahme unserer Bevölkerung um etwa zehn bis 20 Millionen Menschen bis zum Jahre 2050 sind Fertilitätsstörungen. Die Ursachen der ungewollten Kinderlosigkeit verteilen sich je etwa zur Hälfte auf Mann und Frau. Infektionen und Entzündungen des männlichen Reproduktionstraktes machen mindestens ein Fünftel aller Fertilitätsstörungen aus. Aufgrund der komplexen Ursachen kann die Aufklärung dieser Zusammenhänge nur bei einer engen Verzahnung von klinischer Kompetenz und basisorientierten molekularen Methoden gelingen, wie sie im LOEWE-Schwerpunkt MIBIE gegeben ist.
Am Institut für Genetik wird ein neu eingerichteter internationaler Transregio-Sonderforschungsbereich koordiniert. Christine Paprotka und Rainer Renkawitz stellen das Verbundprojekt, eine Kooperation auch mit Forschern aus den Niederlanden, unter dem Titel „Dem Zell-Code auf der Spur“ vor. Veränderungen des Genoms, die an der Zell-Differenzierung und der Ausbildung pathologischer Veränderungen, wie beispielsweise bösartiger Tumore, beteiligt sind, werden in diesem neu eingerichteten DFG-Sonderforschungsbereich untersucht.
Der LOEWE-Schwerpunkt AmbiProbe entwickelt innovative analytische Technologien: Bernhard Spengler, Analytische Chemie, berichtet darüber unter dem Titel „Geschärfte Sinne für Gesundheit, Umwelt, Klima und Sicherheit“. Gefahren rechtzeitig riechen, Erkrankungen sehen oder die Quelle von Umweltgiften orten – diese Ziele scheinen greifbar nahe: Leistungsfähigere und schnellere Untersuchungsmethoden, um mit Hilfe tragbarer Mini-Labore unmittelbar vor Ort problematische Stoffe entdecken zu können, werden im Rahmen des LOEWE-Schwerpunkts AmbiProbe entwickelt. Eingesetzt wird dabei die Massenspektrometrie, die in Gießen in den letzten Jahren entscheidend weiterentwickelt wurde.
Im Bereich der Umweltwissenschaften findet in Gießen zurzeit der Aufbau eines innovativen Forschungsgebietes statt: Andreas Vilcinskas stellt den LOEWE-Schwerpunkt Insektenbiotechnologie vor. Insekten sind im Hinblick auf die Biodiversität mit über einer Million beschriebener Arten die erfolgreichsten Organismen. Die Entwicklung dieser Artenvielfalt ging mit dem Erwerb eines riesigen Arsenals von Molekülen einher, mit denen sie sich vor Krankheiten und Parasiten schützen oder ihre Ernährung sichern. Die Erschließung von Insekten als Ressource für neue Moleküle zur Anwendung in der Medizin, im Pflanzenschutz oder in der industriellen Biotechnologie ist eine der Aufgaben in dem jungen Forschungsgebiet Insektenbiotechnologie.
Lutz Breuer, Martin Köstler, Mo Bai, Jürgen Kunstmann und Hans-Georg Frede fragen in ihrem Artikel: Wie super ist der Superabsorber? Dabei handelt es sich um ein neues Nachweisverfahren zum Abbau von Bodenhilfsstoffen, das im Rahmen des LOEWE-Programms gefördert wird. In trockenen Regionen der Erde ist Wasser bei der Produktion von Lebens- und Futtermitteln besonders wichtig. Mehr als 30 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird global bewässert. Ein Großteil dieses Wassers geht jedoch durch Verdunstung oder Versickerung verloren. Bereits geringe Mengen von Superabsorbern können hier durch ihre extreme Fähigkeit, Wasser zu speichern, Abhilfe schaffen. Doch wie umweltverträglich sind diese Stoffe?
Volker Metag und Ulrich Mosel, Physik, berichten schließlich unter dem Titel „Ich sehe was, was du nicht siehst…“ von Forschungen an den kleinsten Bausteinen und dem Aufbau der Materie. Wissenschaftler aus Bonn, Bochum und Gießen erforschen gemeinsam im Transregio-Sonderforschungsbereich „Subnuclear Structure of Matter“ die kleinsten Bausteine und den Aufbau der uns umgebenden Materie. Zentrales Forschungsinstrument ist dabei ein Elektronenbeschleuniger an der Universität Bonn, die Elektron-Strechter-Anlage ELSA.
Außer dem Editorial von Universitätspräsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, dem Herausgeber der Sonderausgabe des „Spiegels der Forschung“, enthält das Heft auch ein Interview mit der Vizepräsidentin für Forschung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses Prof. Dr. Katja Becker, das nach Ablauf des ersten Jahres ihrer Amtszeit geführt wurde. (Uni Gießen)
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